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  BASTARD   ASS ( I )   FROM   HELL von Florian Schiel
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TEIL 10
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B.A.f.H.

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Ich überarbeite gerade die Fragen für die diesjährige Zwischenprüfung - ein paar unlösbare Aufgabenstellungen zeigen doch erst, was in den Studenten wirklich steckt - als plötzlich ein ungewohntes Verlangen in mir aufsteigt. Ich nehme die Finger von der Tastatur und überlege. Wieso möchte ich auf einmal aus heiterem Himmel den verschollen geglaubten Schlüssel zum Kaffeeraum zurückgeben? 
Als Wissenschaftler bin ich es gewohnt, meinen spontanen Regungen nicht sofort nachzugeben, sondern diese zunächst gründlichst zu analysieren. Also gehe ich stracks in die Bibliothek und bewaffne mich mit einschlägiger Literatur. Zwei Stunden später steht die Sache fest: 
Ganz zweifellos leide ich an einem akuten Anfall von galoppierenden Altruismus in Verbindung mit beginnender Saulus-Paulus-Neurose. 
Die meisten Autoren warnen vor der Möglichkeit, daß die Sache chronisch bzw. irreparabel wird! Bedauerlicherweise wird kein Gegenmittel genannt. Ich muß also improvisieren.

Kurz darauf verläßt die Bibliothekarin den Raum, um mit ihren Kolleginnen im Sekretariat zu ratschen. Ich schnappe mir die fünf sorgfältig sortierten Karteikartenstapel auf ihren Schreibtisch und hebe jeweils die obersten zehn Karten ab. Den Rest mische ich gründlich durch - ich hätte als Croupier Karriere machen sollen! - und verteile sie wieder auf die fünf Stapel. Oberflächlich betrachtet, schaut noch alles ganz in Ordnung aus. Ich räume noch in zwei Regalen die Bücher um, so daß die "Reden Platons" jetzt unter "Tensormathematik" zu finden sind, und verteile meinen ausgelutschten Kaugummi gleichmäßig über die Lesesessel.

Jetzt fühle ich mich etwas besser. Ich kann sogar am Sekretariat vorbeigehen, ohne an den Kaffeeraum-Schlüssel zu denken. Um ganz sicher zu gehen, drehe ich auf dem Rückweg in mein Büro jede dritte Leuchtstoffröhre in ihrem Sockel um 90 Grad, so daß sie erlischt. Es ist immer wieder ein Vergnügen, unseren kleinen dicken Hausmeister zu beobachten, wenn er schwitzend wie ein Affe auf seiner Aluleiter hockt und einen Wutanfall nach dem anderen bekommt.

Zurück in meinem Büro rufe ich die Haustechnik an und mache den Leuten Dampf. Ich weiß sowieso, daß die um diese Zeit nichts tun als Kaffee zu trinken und die Abendzeitung von vorne bis hinten durchzulesen. Es sei ein Skandal, sage ich empört, hier oben müsse man sich im Dunkeln seinen Weg suchen. Ich knalle den Hörer auf die Gabel und wende mich wieder meiner eigentlichen Aufgabe heute zu.
Die Prüfungsaufgaben brauchen noch den entscheidenden Touch. Ich füge noch folgenden Absatz ein:

"Wichtiger Hinweis:

Da sich einige Aufgaben auf die Lösung anderer Teile der Prüfung beziehen, empfehlen wir folgendes Vorgehen bei der Bearbeitung. 
Lösen Sie zunächst Aufgabe 1 a und d, anschließend 4 e, f und a. 
Durch geschickte Kombination der Ergebnisse aus 4 a und 1 d sowie von 1 a und 4 f können Sie bei der anschließenden Lösung von Aufgabe 2 sofort mit Teil c beginnen. Vorteilhaft ist dann vor der Bearbeitung von 3 a, b und f die Aufgabe 1 b und c zu lösen. Die Ergebnisse letzterer werden zwar erst in 5 c benötigt, aber wegen der recht knapp bemessenen Prüfungszeit sollten Sie nicht unnötig oft die Aufgabenstellung wechseln. Lösen Sie nun die restlichen Aufgaben in beliebiger Reihenfolge. Beachten Sie aber, daß 3 c auf keinen Fall vor 6 a und 6 c idealerweise vor 4 a gelöst werden sollte. 
Viel Erfolg!"

Ich drucke die Prüfungsblätter aus und schicke sie gleich in den Kopierladen, damit der Chef sie vor der Prüfung nicht mehr zu Gesicht bekommt. Der Chef ist da viel zu lasch; nur geforderte Studenten können zeigen, was sie können!

Inzwischen ist es spät geworden und ich schlendere hinüber in den Hörsaal. Dort warten bereits 30 Studenten seit einer halben Stunde auf mein Hauptseminar. Überlebensregel Nummer 14: Niemals pünktlich zu seinen Lehrveranstaltungen erscheinen. Dozenten, die pünktlich kommen, sind nicht wirklich wichtige Leute. Das lernt jeder Student schon im ersten Semester. Während ich nach vorne zur Tafel gehe, spüre ich negative Schwingungen im Raum und höre gemurmelte Worte wie "Zeitverschwendung" und "immer zu spät". 
Ich drehe mich mit sorgenvoll gefurchter Stirne um und erkläre, daß ich gerade an den Aufgaben für die Zwischenprüfung arbeite. Die negativen Schwingungen lösen sich schlagartig in Wolken von Angstschweiß auf. 30 Augenpaare starren mich an, 30 Paar Ohren klappen sichtbar nach vorne, 30 zitternde Gestalten hängen an meinen Lippen.

"Ja, äh also ... ich kann nur sagen ...", sage ich leise.
30 studentische Oberkörper beugen sich so weit nach vorne wie möglich.
"Äh ... Sie sollten auf jeden Fall ...ach nein, ich sage jetzt lieber nichts.
Das würde Sie nur bei Ihrer Vorbereitung stören. Außerdem ist dann die ganze Spannung weg."
Allgemeines Stöhnen. In der zweiten Reihe sinkt eine Studentin entseelt auf die Bank. Ich merke mir rasch die Studenten, die am lautesten stöhnen, um sie nachher rigoros aufzurufen.

Da ich keine Lust hatte mich vorzubereiten, werfe ich rasch einige Formeln auf die Tafel und murmele kaum hörbar etwas von

"... trigonometrisches Konvergenzkriterium unter Annahme der Retrokontraktibilität der angegliederten Tensormatrix mit Pi hoch Theta gegen Null ..."
Die Studenten pinseln eifrig mit, ohne ein Wort zu verstehen, weil es da gar nix zu verstehen gibt.

Als die Tafel halb voll ist drehe ich mich um und frage mit scharfer Stimme, ob noch jemand zu diesem trivialen Thema Fragen hat. 
Natürlich hat niemand. Dann rufe ich der Reihe nach die Störenfriede von vorhin auf. Keiner kann etwas dazu sagen. Als ich das Ende der Veranstaltung verkünde, ist die Hoffnungslosigkeit im Raum mit beiden Händen zu greifen.

Es ist drei Uhr. Beschwingt schließe ich mein Büro heute etwas früher ab als sonst.

Auf dem Weg nach draußen begegnet mir der Chef. Er schaut mich an; ich schaue ihn an. Statt zu sagen, es sei noch etwas früh am Tage, wünscht er mir ein schönes Wochenende.

Der Kurs in angewandter Hypnosetechnik letztes Semester
hat sich doch gelohnt!
 
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