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29.01.1999 BASTARD   MAILING   LIST   © Florian Schiel
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Carpe Diem Academicum
Year 2000 weiter 
Bungaria
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WARNUNG

Die folgende Geschichte hat ausnahmsweise einen tatsächlich brauchbaren pädagogischen Lerninhalt. Wer mit sowas nicht zurechtkommt, sollte JETZT mit dem Lesen aufhören!
Die Suizid-Rate an unserem LEERstuhl ist im letzten Jahr dramatisch zurückgegangen. Damit ich nicht wieder einen Anschiß von unten bekomme, steige ich mit einem Schallpegelmesser in den Klimaschacht über den Rechnerknoten C und prüfe, ob der Helmholtz-Resonator, den ich dort vor Jahren mit Hilfe eines alten Ventilators installiert hatte, noch funktioniert. Jeder Organist und Pfarrer kennt die Wirkung der sog. 'Demutspfeife', die einen so tiefen Ton abstrahlt, daß man ihn zwar nicht hören kann, der aber bei der 'Zufühlerschaft' prompte Depressionen auslöst. 
Wie ich's mir dachte, ist der Ventilator total verdreckt und läuft nicht mehr rund. Mit Frau Bezelmanns Geschirrhandtuch hole ich den gröbsten Tschernobyl-Dreck heraus und messe kurz darauf wieder in allen Laboren den gewünschten 18-Hz-Dauerton. Das Geschirrhandtuch entsorge ich in Mariannes Manteltasche, damit Frau Bezelmann später ein Opfer hat, wenn sie nach ihrem Handtuch fahndet.
Auf dem Rückweg zu meinem Büro läuft mir der Chef über den Weg: 
"Ah ... äh ... Leisch ... gut, daß ich ... äh ... daß ich Sie ... hmm ... treffe ... äh ..." 
Der Chef hält den Kopf schief und schaut konzentriert zur Decke hinauf, und einen kurzen Augenblick lang glaube ich schon, daß er durch irgendein geriatrisches Wunder den 18-Hz-Ton hören kann. Aber dann geht's weiter wie gewohnt: 
"... ja ... hmm ... haben wir uns eigentlich ... äh ... eigentlich schon mal mit dem ... ähm ... mit dem ... äh ... Dings ... dem Jahr-2000-Problem ... hmm ... beschäftigt?" 
(Der Chef sagt immer 'wir' und 'uns', wenn er eigentlich 'Sie' und 'sich' meint. Wahrscheinlich denkt er, daß es angemessener klingt. So ähnlich wie Al Capone seinerzeit einem seiner 'Stammkunden' gut zugeredet haben mag: 
Stammkunde: "... Nnnnnnggggh ..." 
Al Capone: "Aber mein lieber Giovanni! WIR wollen UNS doch keine Unannehmlichkeiten machen, nicht wahr? Nun erzählen WIR mal ganz brav dem lieben Onkel Al, wie die Schweizer Kontonummer lautet ..." 
Stammkunde: "... HrrrchUuuuurgh ..." 
Al Capone: "... sonst kann es sein, daß die Schlinge um UNSER liebes Hälschen noch ein klein wenig enger gezogen wird ..." 
Stammkunde: "... WuoooorghRöchel ..." 
Al Capone: "... und das wollen WIR doch bestimmt vermeiden, nicht wahr?" 
Stammkunde: "... Arrrröööhööh ...") 
"Sicher", antworte ich ernsthaft. "Ich habe mir ausgerechnet, daß ich dann exakt 30 Jahre alt sein werde und immer noch nicht promoviert ..." 
"Ah ... hrrrm ... nein ...", sagt der Chef irritiert, "... das ... das meinte ich ... äh ... eigentlich nicht ..." 
"Nicht? Ach so, Sie meinen sicher das Problem mit Frau Bezelmanns Rabenfutter ..." 
"Äh ... Rabenfutter ...?" 
"Ich kann wirklich nichts dafür, daß sie gleich 4000 Dosen gekauft hat, bloß weil es ein Sonderangebot bei Aldi gab. Sie hätte ja nur mal kurz nachzurechnen brauchen, daß der Rabe es bis zum Verfallsdatum im Jahr 2000 niemals schaffen wird, auch nur die Hälfte aufzufressen ..." 
"Äh ... Tatsächlich?" Der Chef schüttelt den Kopf. "Aber Rabenfutter ist doch ... äh ... hrrrm ... nein, ich meinte eigentlich ... äh ... das Problem mit den ... äh ... Computern ... ähm ... Sie wissen schon ..." 
Ich nicke düster: "Ja, klar. Das schieben wir wohl alle ein wenig vor uns her, nicht? Das größte Problem wird wohl der negative Befehlsfluß werden ..." 
"... ?" 
"Ja, wenn Silvester '99 alle Systemuhren von 99 auf 00 zurückspringen, denkt das Betriebssystem natürlich ganz folgerichtig, daß es sich um einem negativen Zeitsprung infolge eines zu hohen Gravitationsgradienten im Rechnergehäuse handelt, und kehrt sicherheitshalber die Ausführungsrichtung der Microbefehle im RISC-Prozessor einfach um ..." 
"... ??" 
"Faktisch bedeutet das, daß alle Programme plötzlich rückwärts ausgeführt werden ..." 
"... ???" 
"... die Graphikausgabe steht plötzlich auf dem Kopf, Texte werden rückwärts ausgedruckt, und natürlich berechnen sich alle positiven Werte plötzlich negativ ..." 
"... ????" 
"... was vor allem bedeutet, daß unsere Januargehalt wohl zunächst mal von unseren Konten ABGEBUCHT werden wird, bis die Verwaltung das in den Griff bekommt ..." 
"Oh!!!" 
"... aber eventuell - mit den entsprechenden finanziellen Mitteln - ließe sich da schon was machen ...", werfe ich vorsichtig den Köder aus. 
Der Chef überlegt einen Augenblick; dann entschließt er sich, beherzt zuzubeissen: 
"Hrrrm ... äh ... wieviel ...?" 
Ich lege meine hohe Denkerstirne (!) in dekorative Falten, kneife die Augen zusammen und mümmle in meinen nicht vorhandenene Bart: 
"... also mal sehen ... 67 Uhren-Chips auswechseln ... Ausfallzeiten ... Einbau und Test ... Wochenendzulage ... Software anpassen ... Mehrwertsteuer ... na, sagen wir mal so etwa ... 3423 Euro und 40 Cents." 
"Wie? Ah so ... ja ... da muß ich mich ... äh ... auch erstmal ... hmm ... erstmal dran gewöhnen ... ja ... gut, also, dann nehmen Sie's aus dem ... äh ... SCHWAFEL-Projekt ... äh ... da müßte noch etwas ... ähm ... Geld übrig sein ... ja ..."
Das lasse ich mir nicht zweimal sagen! 56 Sekunden später lasse ich mir von Frau Bezelmann (die gerade just in diesem Augenblick ihr Geschirrhandtuch zu vermissen beginnt) ein Auszahlungsformular geben. Nebenbei bemerkt wird mein geplanter Frühjahrsurlaub auf den Fidschi-Inseln ziemlich genau 6709 Mark und 86 Pfennige kosten. In manchen Lebenssituationen sind gute Kopfrechner einfach klar im Vorteil! 
Ich gebe Frau Bezelmann noch einen dezenten Tipp wegen ihres Handtuchs und gehe beschwingt zurück zu meinen Büro. Und wie um den erfolgreichen Tag vollends abzurunden, sehe ich einen Studenten, der sich mit einem langen Stück Thick-Wire in der Hand aus den EDV-Labor schleppt. Seine erloschenen Augen suchen verzweifelt nach einem Haken an der Decke ... 
Pädagogisch wertvoller Nachtrag: 1 Euro = 1,955 DM
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