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20.01.2000 BASTARD   MAILING   LIST   © Florian Schiel
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Nun ja, unsereins hat das ja schließlich schon ein paar Male mitgemacht, nicht wahr? Aber so was von einer Luftblase wie diesmal ... das war schon fast so gut, daß es hätte von mir stammen können! (Das eben war nicht syntaktisch falsch; das war bayerisch korrekt!) 
Heute morgen dringt ein Verrückter trotz aktivierter Schutzschilde in mein Allerheiligstes ein. Er hat drei riesige alarmrote Plastikrucksäcke auf dem Rücken, ein langen ungepflegten Bart und einen starren Blick (ungefähr der Blick, den ich für Erstsemester reserviert habe, die ihr Passwort vergessen haben ...). Bevor ich ihn wieder 'rausschmeißen kann, fängt er an, über die Gefahren des Jahrtausendwechsels zu predigen: Strom ... Wasser ... nix mehr zu Essen ... Supermärkte geplündert ... Psychogase in der Luft ... die Russen ... ganz zu schweigen von den Bewohnern des Plutos, die nur darauf warten, in dem entstehenden Chaos die Weltherrschaft zu übernehmen und sämtliche Marshmellows zu klauen. 
Ich weiß aus praktischer Erfahrung (wozu haben wir unsere Stamm-Idioten am LEERstuhl?), daß Widerspruch völlig sinnlos ist; deshalb nicke ich lediglich zustimmend und gebe an den richtigen Stellen mitfühlenden Grunzlaute von mir, die ich sonst nur im Gorillahaus des Münchner Zoos oder beim Telefonsupport verwende. Gleichzeitig versuche ich, den Wahnsinnigen langsam aus meinem Büro zu manövrieren. Der aber durchschaut mit der Arglist des Paranoiden meine Absichten und verankert sich und seine Rucksäcke fest an der alten PDP11, die mir seit 28 Jahren als Garderobenständer dient. Schließlich kommt er endlich zum entscheidenden Punkt: Gegen einen Spottpreis von 1899 Mark wäre er eventuell bereit, mir einen seiner Year-2000-Survival-Packs zu überlassen, die Luxusausführung mit Trockenrationen von Mövenpick. Als ich weiterhin nur reserviert grunze, bietet er mir als Alternative die Economy-Variante mit ausgedienten Bundeswehr EPAs an. 
Im Laufe der weiteren Verhandlungen stellt sich heraus, daß der Typ stocktaub ist. Alle Versuche, ihm klarzumachen, daß aus gegebenem Anlaß keinerlei Interesse vorhanden sein kann, prallen an seinem verschmalzten Trommelfellen ab. 
Schließlich stülpe ich ihm gewaltsam meinen Kopfhörer über und blase mit 130 dB in seine Gehörgänge:
"ICH KAUFE NIX, WEIL ES INZWISCHEN SCHON DER 10. JANUAR 2000 IST!!!"
Dabei halte ich ihm meine Armbanduhr vor die unsteten Augen, damit er das Datum sehen kann. 
Sein Blick wird glasig, die Augenbrauen ziehen sich buschig zusammen und zum ersten Mal schweigt er für länger als eine halbe Sekunde. Ich nutze meinen Vorteil, bis er darauf kommt, daß das alles nur von den Psychogasen kommen kann, und schiebe ihn und seine Feuerwehrrucksäcke energisch auf den Gang hinaus in Richtung Sekretariat. Soll doch Frau Bezelmann mit ihm fertig werden! Wozu hat sie letztes Jahr noch rechtzeitig vor Silvester einen Kurs in bongonesischen Dschungelnahkampf absolviert? 
(Als ich sarkastisch bemerkte, wo denn in München der bongonesische Dschungel sei, für den sie den Ernstfall probe, drückte Frau Bezelmann mir lediglich mit nach unten verzogenen Mundwinkeln eine Broschüre in die Hand, in der ernsthaft versichert wurde, daß nach dem Jahrtausendwechsel infolge der veränderten Korpuskelstrahlung der Sonne mit einer raschen und umfassenden Klimaveränderung zu rechnen sei; insbesondere werde Mitteleuropa schlagartig tropisches Klima bekommen. I rest my case.) 
Ich war natürlich die letzten Stunden des Jahrtausends schwer beschäftigt (Jaja, ich weiß inzwischen, daß das nächste Jahrtausend erst nächstes Jahr anfängt; ihr könnt den Finger wieder von der Reply-Taste nehmen, ihr Klugscheißer!). Wann hat man schon mal so eine Gelegenheit, unbegrenzten Schaden auf eine einzige Ursache zu häufen? Richtig: nur alle tausend Jahre mal! Während sich also vor dem Uni-Gebäude die hirnlosen Massen durch den Schneematsch wälzen und mit Hilfe diverser Sektflaschen und -gläser eifrig die neuesten englischen Grippeviren austauschen, korrigiere ich in aller Ruhe ein paar strategisch wichtige Lohnabrechnungen, verteile die Reisetetats in der Reisekostenstelle from Heaven (RkfH) für das Jahr 2000 neu und baue ein paar hübsche trojanische Pferde in die wichtigsten NT-Server der Uni-Verwaltung ein, damit meine Korrekturen nicht gleich dem erstbesten Buchprüfer ins Auge knallen. 
Schließlich ist es soweit: der Milleniums-Countdown auf meinem Desktop zählt knallhart die letzten 60 Sekunden herunter. Ich nehme pietätvoll die Finger von der Tastatur und harre frohen Mutes der Katastrophen, die da kommen sollen. 
Als um 6 Minuten nach zwölf immer noch alle Rechner am LEERstuhl laufen, und immer noch kein Stromausfall kommt, und nicht mal eine klitzekleine 747 auf der Ludwigstraße notlanden muß, macht sich in mir ein gewisses Gefühl der LEERE breit. 
Seien wir doch mal ehrlich: Alles im allem sind wir ja alle, ja auch du da hinten, an deinem altersschwachen 486, wir alle sind doch irgendwie ganz schön enttäuscht, nicht wahr? So ein paar mittelschwere Katastrophen wären doch ganz angemessen gewesen - wo wir uns doch alle so eifrig darauf vorbereitet hatten! Die Katastrophe muß ja nicht unbedingt gleich vor der eigenen Haustüre beginnen, aber vielleicht im nächsten Bundesland? Ich hatte mir schon so schön die morgigen Schlagzeilen ausgemalt: 
"Sämtlich schwäbischen Spareinlagen infolge von Y2K-Bug gelöscht!" 
"Computer der österreichischen Bundesautobahngesellschaft berechnet Straßengebühren plötzlich negativ - der österreichische Staat ruiniert?" 
"Deutsche Bank berechnet alle DM-Werte plötzlich in Euro - Guthaben über Nacht verdoppelt!" 
"Y2K-Bug im Navigationssystem - Space Shuttle auf dem Weg zum Jupiter!" 
"Sämtliche Windoofs-PCs begehen Y2K-Selbstmord - Microsoft bankrott!"
Naja, es hat halt nicht sollen sein. In Zukunft müßt ihr wohl wieder eure Phantasie bemühen, wenn es darum geht, Sündenböcke für geleisteten Bockmist zu finden. Aber zum Glück gibt's ja diese Kolumne, nicht wahr? Also dann: 
Stay tuned and have fun! (Jetzt erst recht!)
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