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12.12.2001 BASTARD   MAILING   LIST   © Florian Schiel
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Merciless Truth
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Aus dem 'Survival Guide for the German University' von Leisch: 

Der Professor

Wir kommen jetzt endlich zum wichtigsten Archetypus des Hochschul-Umfeldes, dem Professor. Ein echter Professor definiert sich dadurch, daß er sich selbst für den Mittelpunkt des Universums hält. Alle anderen Definitionen funktionieren nur begrenzt, weil - wie immer - die Sache, wenn man sie genauer betrachtet, erstaunlich kompliziert ist. 
Der klassische Professor ist der LEERstuhl-Inhaber für ein bestimmtes Wissenschaftsgebiet, für das ihm die LEERbefugnis zugesprochen wurde. Er ist verantwortlich dafür, daß das jeweilige Fach vernünftig geLEERt wird, d.h. LEERveranstaltungen und Prüfungen abgehalten werden. Eine LEERbefugnis muß nicht mit einem Studienfach identisch sein; die meisten Professoren tragen mit ihrer LEERE nur zu einem Studienfach bei, an dem noch viele andere HochschulLEERER beteiligt sind. Andererseits können auch Nicht-Professoren eine LEERbefugnis erhalten; um sie von den öffentlich berufenen Professoren zu unterscheiden, nennt man sie Privat-Dozenten. Und um die Sache vollends zu verwirren, gibt es auch noch Honorar-Professoren und außerordentliche Professoren. Aus dem bisher Gesagten wird sonnenklar, daß es viele Wege gibt, an den begehrten Titel heranzukommen:
  • Man wird auf einen LEERstuhl berufen. 
    Schwierig. Ohne das richtige Vorleben, das richtige Parteibuch oder die richtigen Beziehungen fast unmöglich. Wenn man das wirklich vorhat, sollte man sich sorgfältig überlegen, ob man sich um eine C3 oder C4-Stelle bewirbt: C3 ist definitiv gemütlicher, bringt jedoch fast die gleiche Kohle. C4 ist fast immer mit der Leitung eines ganzen Instituts verbunden; meistens bringt das mehr Stress, als die Alimente wert sind. 
  • Man läßt sich zum Honorar-Professor ernennen. 
    Kommt nur für Leute in Frage, die entweder Macht oder Geld haben, am besten beides. Vorteil: kein Mensch erwartet von einem Honorar-Professor, daß er sich öfters als zweimal im Jahr (zum Sektempfang des Rektors) an der Uni blicken läßt. 
  • Man ergattert sich eine Beamtenstelle der A-Laufbahn (s. Abschnitt 'Der akademische Rat'), habilitiert und gammelt so lange an der Uni herum, bis das Ministerium einen nach etwa fünf Jahren zum 'Außerordentlichen Professor' ernennen muß. 
    Dauert länger, hat aber einige Vorteile: Keine Berufungsverhandlungen, keine Verantwortung (man bleibt ja schließlich A-Beamter), kein übermäßiger Stress. 
  • Man wird Lehrer an einer Fachhochschule. 
    Ok, aber man hat dann praktisch kein eigenes Personal zum Rumscheuchen. Die Sekretärin muß man sich unter Umständen mit anderen 'Professoren' teilen. 
  • Man wandert in ein Land aus, in welchem schon ein normaler Lehrer mit 'Professore' betitelt wird. 
  • Man kauft sich den Titel bei einer einschlägigen Internet-Agentur. Unter Umständen ziemlich teuer. 
  • Man läßt sich auf den Vornamen 'Profiterolius/Profiterolia' umtaufen und kürzt in Zukunft mit 'Prof.' ab. 
  • Man geht gar nicht erst an die Hochschule, sondern läßt sich zum Profess, Profilograph oder Profos ausbilden. 
Der Titel allein macht aber noch keinen echten Professor. Um wirklich als akademischer Halbgott akzeptiert und verehrt zu werden, muß man die folgenden essentiellen Verhaltensregeln beachten. Mehr dazu findet der geschätzte Leser unter dem Abschnitt 'Die Professur: Die Kunst des Halbgotts' 
(...)

Die Professur: Die Kunst des Halbgotts

Dieses Kapitel sollte sich vor allem der Leser zu Herzen nehmen, der ernsthaft erwägt, sich einer gründlichen Charakter-Umwandlung zu unterziehen, also vorhat, selber Professor zu werden. Abgesehen von den ganzen formalen Voraussetzungen, die ich bereits im Kapitel 'Archetypen' angesprochen habe, geht es hier im Wesentlichen um ein kleines Vademecum des korrekten, professoralen Verhaltens. 
Von der Kunst der Marotte 
Die sogenannte Marotte ist das Markenzeichen des erfolgreichen HochschulLEERERs. Im Prinzip kann man sich als Professor beliebig viele Marotten zulegen. Es empfiehlt sich jedoch, um die Wiedererkennungsleistung der übrigen Uni-Angehörigen zu optimieren, lieber einige wenige Spezial-Marotten zu entwickeln und sorgfältig zu kultivieren. Solche idiosynkratische Eigenheiten sind wesentliche Voraussetzungen für eine erfolgreiche Karriere. 
Es versteht sich von selbst, daß ich im Rahmen dieses Ratgebers keine Vorschläge für Spezial-Marotten aussprechen kann, da diese logischerweise in dem Moment, wo sie schriftlich fixiert sind, per definitionem keine Spezial-Marotten mehr darstellen. Ich beschränke mich daher auf eine eingeschränkte Sammlung von allgemeinen Marotten, die eigentlich jeder erfolgreiche HochschulLEERER aus dem effeff beherrschen sollte.
  • Ein Professor kommt immer zu spät; und zwar je höher er seinen Wichtigkeit einschätzt, umso später. 
  • Ein Professor muß immer 'noch schnell ein sehr wichtiges Telefongespräch' führen. Aber niemals am Handy, weil dann andere mithören könnten. 
  • Ein Professor ist grundsätzlich für die nächsten zwei Jahre ausgebucht. 
  • Ein Professor ist das einzige Wesen, das monologisch zu kommunizieren vermag. 
  • Ein Professor merkt nicht, wenn jemand anderes etwas sagen will, und wenn es doch mal passiert, daß jemand anderes etwas äußert, dann hört er es nicht. 
  • Ein Professor beginnt mehr Gedankengänge und Nebensätze, als er zu Ende führen kann. 
  • Ein Professor weiß entweder sehr wenig von allem oder sehr viel von einem Spezialgebiet, dessen Breite gegen Null strebt. Einen Mittelweg gibt es nicht. 
  • Ein Professor vergißt alles, was er eben noch wußte und noch mehr. 
  • Ein Professor braucht im Durchschnitt 178% mehr Wörter, um einen Sachverhalt auszudrücken, als der durchschnittliche Nicht-Professor. 
Von der Kunst der Häsitation 
Es fällt schwer, sich einen anderen Berufsstand vorzustellen, der die Kunst der sogenannten 'gefüllten Pause' oder 'Häsitation' weiter entwickelt hat, als der des Universitäts-Professors. Ich wage zu behaupten, daß ich einen mir völlig unbekannten, ordentlichen LEERstuhl-Inhaber am Telefon nach ca. 25 Worten mit 100%iger Sicherheit als solchen zu identifizieren vermag. Das ist keine besondere Leistung, wenn man bedenkt, daß es Meister in diesem Fach auf bis zu 1,87 Häsitationen pro Wort bringen. 
Obwohl das aufmerksame Zuhören eines Vortrages mit "Ähs" und "Hmms" nach fast jedem Wort nicht gerade leicht fällt, scheint niemand damit ein besonderes Problem zu haben: Im Gegenteil meine ich beobachtet zu haben, daß junge Hochschullehrer, welche die Kunst der Häsitation noch nicht beherrschen, bei der Studentenschaft weniger Respekt genießen, auch wenn ihr Vortrag flüssig und gut formuliert ist. Aus alledem folgt, daß der erfolgreiche Halbgott sich so bald als möglich mit dieser Kunstform vertraut machen muß, wenn er ernsthaft daran denkt, an seiner Hochschule zu Respekt und Ansehen zu gelangen. 
Als kleine Einführung hier ein paar praktische Tipps:
  • Bei den Häsitationen (gefüllten Pausen) unterscheidet man zwischen: 
    vokalischer Häsitation: 'äh', 'öh', 'ah', 'oh' 
    nasalierter Häsitation: 'hm', 'hmm', 'mhm' 
    vokalisch-nasalierter Häsitation: 'ähm', 'öhm' 
    vokalischer Häsitation mit Trill: 'errr' 
    glottal-respirativer Häsitation: 'hrrrm' 
    mental-stimulativer Häsitation: 'na!' 
    repetitiver Häsitation: 'der ... der ... der', 'die ... die ... die ...', 'das ... das ... das ...' 
    Mischformen der obigen: 'der ... äh ... der ... hrrrm ... ähm ... die ...' 
  • Die genauen Regeln der Plazierung von Häsitationen sind überaus komplex und lassen sich eigentlich nur durch permanente Übung richtig anwenden. Generell gilt: je mehr Häsitationen in einen Satz integriert werden können, ohne daß die Zuhörerschaft den Faden verliert, desto überzeugender der professorale Eindruck. 
  • Die unmittelbare Wirkung der Häsitationen auf die Zuhörerschaft kann durch folgende Effekte noch deutlich gesteigert werden: 
    Angestrengtes Suchen nach Wörtern 
    Leerer Blick an die Decke (wahlweise auch in unbestimmte Ferne) 
    Lange Pausen, die aber sofort beendet werden, wenn einer der Zuhörer droht, das Wort zu ergreifen. 
    Langes Reden scheinbar ohne Luft zu holen 
    Speichelbläschen in den Mundwinkeln 
    Lange komplizierte Schachtelsätze ohne Verbum (oder wenn schon ein Verbum vorkommen muß, dann in möglichst komplexer Form, wie z.B. 'haben vorbeizukommen müssen vorgehabt') 
Für den wirklich erfolgreichen Einsatz der Häsitation empfehle ich dem erfolgreichen Halbgott den häufigen Besuch von Vorlesungen emeritierter Kollegen.
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