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10.11.2003 BASTARD   MAILING   LIST   © Florian Schiel
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Mobility
Budget Cuts weiter 
Political Logic
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Ich sitze gemütlich im meinem warmen Büro - drei Workstations und vier 21-Zoll-Bildschirme, nicht zu vergessen der Beamer für meine Videoanlage sorgen für behagliche 29 Grad - und stelle mich auf einen langen, ruhigen Winter an der Uni ein. 
Plötzlich wird ohne Vorwarnung die Türe aufgerissen, und Marianne stürmt herein. Meine gut eingespielten Reflexe reagieren prompt, und ich schaffe es, in 1 1/2 Sekunden aus der Hängematte zu springen und mich hinter dem Terabyteserver in Sicherheit zu bringen. Erst dann bemerke ich, daß Marianne nicht wie üblich ihren Posaunenkasten dabei hat, sondern lediglich die heutige Tageszeitung wie eine Streitaxt über dem Kopf schwenkt. 
"Hast du DAS schon gesehen!" 
ruft sie empört und bohrt ihren linken Zeigefinger mehrfach in die Zeitung. 
Selbst für einen tauben Maulwurf mit Zahnschmerzen ist es offensichtlich, daß Marianne nicht wegen der falschen Kontaktanzeige hier ist, die ich letzte Woche unter ihrem Namen in einer einschlägigen S&M-Zine gepostet habe. Ich tue so, als ob ich hinter dem Server nach einem abgerissenen Jackenknopf suchen würde, und sage: 
"Worum geht's denn?" 
"Hier: Unser verehrter Ministerpräsident will, daß wir ab nächstem Jahr 42 Stunden die Woche malochen! Das heißt im Klartext, noch weniger Zeit für die Doktorarbeit!" 
Zur Antwort setze ich lediglich mein feinstes Grinsen auf; das das die Mundwinkel bis zu den Ohrläppchen zieht und das mit den acht funkelnden Goldzähnen; ihr wißt schon, welches. 
Marianne, die schon Luft für weitere Schimpftiraden geholt hat, bricht ab und läuft vor Wut dunkelrot an. 
"Natürlich! DICH juckt das natürlich keinen Deut! Erstens bist du sowieso selten länger als 15 Stunden am LEERstuhl, und zweitens promovierst du ja bloß auf den Papier, damit du die ganzen Zuschüsse für Bücher und Konferenzreisen kassieren kannst!" 
"Tststs! Marianne!" 
sage ich milde tadelnd. 
"Was sind das wieder für schreckliche Unterstellungen? Hier, in unserem Online-Anwesenheits-Erfassungs-System, kannst du ganz klar sehen, daß ich im Schnitt sogar 43,7 Stunden in der Woche ... äh ... arbeite." 
"Hah! Und daß du der Einzige bist, der Zugang zu diesen Daten hat, ist ja wohl auch klar, oder?" 
"Aber natürlich", 
sage ich sanft und in meinem speziellen, leicht erstaunten Tonfall, der Marianne regelmäßig die Wände hochtreibt, 
"irgendjemand muß sich ja opfern und sich um diese lästigen Verwaltungsdinge kümmern ..." 
Marianne schnappt empört nach Luft, aber in diesem Moment kommt der Kollege O. herein. Er hat ebenfalls eine Zeitung unter dem Arm und schaut so unglücklich drein, wie wenn er gerade erfahren hätte, daß das Tragen von lilafarbener Unterwäsche ab sofort mit der Todesstrafe geahndet werde. 
"Was sollen wir bloß machen?" 
jammert er. 
"Wenn das stimmt, was in den Zeitungen steht, dürfen wir nächstes Jahr keine HiWis mehr für die Betreuung im Mikroprozessor-Praktikum einstellen. Dabei haben sich dieses Jahr 60% mehr Studenten eingeschrieben als letztes Jahr ..." 
Frau Bezelmann, die immer dabei sein muß, wenn etwas den Bach hinunter geht, schiebt sich mit dem Raben Nero auf der Schulter in mein Büro. 
"Dasss Department hat sssich gerade gemeldet", 
zischt sie genüßlich. 
"Wegen der Haussshaltsssperre issst unsss ab sssofort untersssagt, Briefmarken zu kaufen. Wir sssollen alle ausssgehende Possst bis zum Januar zurückstellen!" 
Ich glaube, daß die Kollegen - abgesehen vielleicht von Frau Bezelmann - reif sind für einen kleinen BMB (Bastard Morale Boost). 
"Es bleibt uns nur ein logischer Ausweg", 
sage ich energisch. 
"Wir müssen die angekündigten Budget-Verschlankungen präventiv und leistungsproportional in das operative Geschäft transformieren!" 
Tiefes Schweigen, während die Kollegen versuchen, dieses blödsinnige Politgefasel zu dekodieren. 
Schließlich sagt der Kollege O.: 
"Äh ... was?" 
"Laßt mich nur machen", 
sage ich, 
"ihr könnt euch voll und ganz auf mich verlassen!" 
Die Kollegen betrachten mich skeptisch. 
"Das letzte Mal, als wir uns auf dich verlassen sollten, bist du mit dem Rest-Budget vom SCHWAFEL-Projekt nach Hawaii abgehauen", 
meint Marianne giftig. 
"Das stimmt", 
gebe ich zu, 
"aber dafür hat in der Riesenaufregung danach niemand gemerkt, daß wir statt den zehn genehmigten, langweiligen Workstations einen schicken Beamer gekauft hatten!" 
"Mit dem DU die ganze Zeit in deinem Büro DVDs anguckst!" 
"Marianne, Marianne", 
sage ich besänftigend. 
"Wie oft muß ich dir noch erklären: der Haustechnik wäre es sofort aufgefallen, wenn in unserem Hörsaal ein Beamer für 15000 Euro herumstehen würde. Das hätte nur zu unangenehmen Fragen geführt, glaub' mir ..." 
Marianne zieht knurrend mit den anderen ab, und ich mache mich mit Feuereifer ans Werk. 
Als allererstes schreibe ich ein kleines Filter für unseren Email-Server, das alle Mails an die Uni-Verwaltung oder an die Bezirksfinanzdirektion herausfiltert und rigoros auf 90% der Textlänge abschneidet. Danach hängt mein Filter noch den folgenden Satz an: 
"Im Zuge der von Herrn Ministerpräsident Stoiber angeordneten Sparmaßnahmen mußte der Text dieser dienstlichen Email auf 90% reduziert werden, um die Kürzungen des Netzwerk-Budgets von 10% umsetzen zu können." 
'Kürzungen umsetzen zu können', das ist auch so eine Politikerphrase, die man einfach lieben muß! Was soll denn das heißen: 'umsetzen'? Da sitzt die 10%-Kürzung ganz gemütlich im Ohrensessel in der Ecke, und ganz plötzlich muß man sie umsetzen! Wohin denn? Am Ende in den klapprigen Schaukelstuhl? Kein Mensch weiß, wer als erster auf diesen Schmarrn gekommen ist, aber alle plappern es nach! 
Als nächstes rufe ich bei unserem Bastard Hausmeister from Hell an und überrede ihn, daß er für alle unsere Hörsäle Zeitschaltuhren einrichtet, so daß exakt viereinhalb Minuten vor Ende einer Vorlesungsstunde das Licht ausgeschaltet wird. Der B.H.f.H. ist begeistert! 
Dann gehe ich in den Steuerungs-Computer unserer Tiefgarage und sorge dafür, daß in Zukunft bereits bei 90%iger Belegung die Zufahrt gesperrt wird. In unserer ISDN-Telefonanlage füge ich ein Skript ein, das 10% aller Gespräche per Zufallsfunktion trennt und nicht wieder aufbaut. 
Während ich noch völlig vertieft und glücklich C-Skripten entwerfe, läutet das Telefon. 
Ohne auf die Caller-ID zu schauen hebe ich ab: 
"Hallo?" 
"Hallo! Ah, gut daß ich Sie erreiche ...", 
zwitschert es fröhlich im Hörer. 
Es ist die Sekretärin des Direktors. Sie hat es sich zur scheußlichen Angewohnheit gemacht, bei mir anzurufen, wenn sie Rechnerprobleme hat, anstatt wie alle anderen die Microsoft-Hotline zu belagern. 
"Mein Drucker funktioniert plötzlich nicht mehr und ich müßte doch GANZ dringend dieses PDF für den Herrn DIREKTOR ausdrucken und ..." 
"Tut mir sehr leid", 
sage ich bedauernd, 
"aber Sie rufen ausgerechnet in den 10% meiner Arbeitszeit an, die den neuesten Kürzungen zum Opfer gefallen sind. Kann Ihnen da leider nicht weiterhelfen." 
Schweigen in der Leitung. Fast kann ich hören, wie nacheinander drei Co-Prozessoren im Gehirn zugeschaltet werden. 
"Aber ...", 
versucht sie es zunächst mit Logik, 
"die Kürzungen betreffen doch nicht Ihre ARBEITSSZEIT! Im Gegenteil sollen wir doch sogar mehr arbeiten ..." 
Ich gebe unumwunden zu, daß das richtig sei. 
"Ja, aber dann gibt es doch keinen Grund zu sagen, daß ich gerade in den 10% Ihrer gekürzten Arbeitszeit anrufe!" 
MATHEMATICAL-ECOLOGICAL BULLSHIT MODE ON 
"Ich sage ja auch nicht, daß meine Arbeitszeit gekürzt wurde", 
sage ich fröhlich. 
"Passen Sie auf: Unser Budget wird um 10% pauschal gekürzt, nicht wahr? Deshalb kann ich statt 20 HiWis von jetzt an nur noch 18 einstellen. Folglich muß ich die Arbeit von 2 HiWis mit erledigen. Ein durchschnittlicher HiWi leistet Null Komma Null Sieben Fünf mal soviel wie ich selber. Das muß stimmen, weil es so toll wissenschaftlich klingt und bis auf die dritte Stelle hinter dem Komma angegeben werden kann. Die zwei fehlenden HiWis muß ich folglich mit 15% meiner Arbeitskraft ersetzen. Berücksichtigt man, daß wir alle in Zukunft sowieso 5% länger arbeiten müssen, verbleibt ein Rest von 10% meiner Arbeitszeit, die jetzt nicht mehr zur Verfügung stehen." 
Erste Grundregel im Umgang mit der Verwaltung: Man muß diese Leute mit ihren eigenen Waffen schlagen. Wenn sie dir mit Logik kommen, schlage mit dreifacher Logik zurück! 
Das Direktorat scheint meine Argumentationskette geschluckt zu haben. Jetzt wollen sie wissen, WANN ich denn immer diese 10% erledigen müsse, damit sie es in Zukunft dann gar nicht mehr bei mir probieren. 
"Ah, tut mir leid, aber das weiß ich selber nicht!" 
sage ich fröhlich. 
"Wieso?!" 
"Weil ich noch nicht herausgefunden habe, wann denn die beiden HiWis, die ich eingestellt hätte, wäre das Budget nicht gekürzt worden, ihre Arbeit erledigt hätten. Das kommt so ganz unerwartet, wissen Sie. Gerade dachte ich noch an was ganz anderes, dann klingelt das Telefon, und plötzlich fällt mir ein, daß ich noch den Kühlschrank putzen muß, weil ja die beiden HiWis nicht da sind ..." 
"Aber ..." 
"Dummerweise kann ich die beiden Schlawiner ja auch nicht fragen, wann sie normalerweise den Kühlschrank putzen, weil sie ja leider gar nicht eingestellt wurden. Sie sehen, das Ganze ist ganz außerordentlich kompliziert. Das Beste wird sein, Sie rufen überhaupt nicht mehr bei mir an ..." 
Man kann über unsere Verwaltung sagen, was man will, aber kaum daß man mit dem Eifelturm winkt, kapieren sie schon woher der Wind weht: Als Antwort bekomme ich nur noch ein hartes Klicken. 
Befriedigt gehe ich hinüber in den Hörsaal D16, wo die Studenten der Vorlesung 'Einführung in die Mikroprozessor-Technologie' auf den Kollegen O. warten. Als ich nach vorne zur Tafel gehe, wird es schlagartig mucksmäuschen still. Daran kann ich erkennen, daß es sich durchgehend um höhere Semester handeln muß, die mich in der einen oder anderen Form schon mal kennen gelernt haben; vermutlich als letztes bei der Einschreibung zum Mikroprozessor-Praktikum. Ein frecher Studentenvertreter hat angeblich mal in einer Studentenvollversammlung bemerkt, die Einschreibung für dieses Praktikum sei Dank meinerseits eine der schwierigsten Studienleistungen an unserer Universität. Ich erläutere der lauschenden Studentenschaft in dürren Worten die Situation und erkläre, daß leider jeder Zehnte von ihnen am Praktikum im nächsten Semester nicht teilnehmen könne. 
"In wenigen Minuten wird Ihr Dozent erscheinen und die Sitzreihen abzählen. Die Studenten, die dann auf den jeweils zehnten Plätzen sitzen, müssen sich im übernächsten Semester erneut anmelden. Ich bitte Sie also jetzt, ruhig und gesittet Platz zu nehmen, damit wir die Auszählung zügig durchführen können!" 
Alle Studenten springen wie ein Mann von ihren Sitzen auf, als ob sie plötzlich eine mutierte Tarantel unter ihrem Tisch entdeckt hätten, und ein ohrenbetäubender, vielstimmiger Tumult bricht aus. 
Am Ausgang treffe ich den Kollegen O., der gerade ahnungslos in seine Vorlesung gehen will. 
"Um Gottes Willen, Leisch! Was ist denn bloß los?!" 
brüllt er geschockt über das Getöse. 
Ich schreie in sein Ohr, daß ein paar Witzbolde fünf mutierte Nuklear-Taranteln aus der zoologischen Sammlung geklaut und im Hörsaal ausgesetzt hätten. 
"Wahrscheinlich sind auch schon welche gebissen worden und flippen jetzt aus!" 
schreie ich. 
"Am besten alarmierst du gleich die Hausmeister! Die sollen einen Feuerwehrschlauch mitbringen! Kaltes Wasser bei fünf atü wirkt sicher beruhigend!"
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