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26.11.2003 BASTARD   MAILING   LIST   © Florian Schiel
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Xmas Again
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Es ist fast elf Uhr, ich schalte seufzend den DVD-Player aus und mache mich auf zu meiner heutigen LEERveranstaltung. Was heißt hier 'heutigen'. Es ist inzwischen sowieso nur noch die Einzige, weil in allen Anderen die Teilnehmerzahl erwartungsgemäß auf Null geschrumpft ist. Unsere Studenten sind zwar keine Genies (wobei ich das durchaus als Kompliment auffasse; wer will schon freiwillig als Einstein für die Hiroshima-Bombe verantwortlich sein!), aber sie merken doch ziemlich schnell, wenn ihre Anwesenheit nicht gerade bejubelt wird. Auf diese Weise reduziert sich normalerweise mein vorgeschriebenes LEERdeputat von acht Wochenstunden in kürzester Zeit auf Null, und ich kann mich dann voll und ganz den wirklich wichtigen Dingen des LEERbetriebs widmen. 
Aber nicht in diesem Semester. Ein kleines Häufchen persistenter Hauptfachstudenten läßt sich selbst mit den ekelhaftesten mathematischen Herleitungen nicht aus meiner Veranstaltung Maschinelle Logik für Fortgeschrittene vergraulen. Zäh wie die Kletten, diese Brüder! Ich schaffe es zwar regelmäßig, mit meiner monotonen Stimme den halben Kurs ins Koma zu schicken, aber die Studenten kommen hartnäckig immer wieder! Ich betrete mit fünf Minuten Verspätung (wichtige Dozenten kommen IMMER zu spät!) den Seminarraum, schreite unverzüglich nach vorne zur peinlich sauber gereinigten Tafel (die Haustechnik weiß genau, wann und wo ich Vorlesungen habe!) und greife ohne langwierige Begrüßung zur Kreide. Zeit ist Geld, und Geld ist knapp, sagt unser geliebter Landesherr Stoiber. Wozu also Zeit und damit Steuergelder mit Palaver vergeuden, wenn man alles auch an der Tafel herleiten kann! 
Bevor ich noch die erste Herleitung fertig habe, fällt mein Blick das erste Mal ins Auditorium. Fünf Studenten in der ersten Reihe haben statt den üblichen Kollegheften jeweils ein Kissen vor sich auf der Bank liegen. 
Ich breche die Herleitung ab und erkundige mich in scharfem Ton, was das zu bedeuten habe. Ob die Herren Studenten etwa vorhätten hier zu übernachten. Nach einigem Hin und Her antwortet ein Student: 
"Äh ... das ist so: ... ähm ... der Rudi, der sitzt normalerweise hier neben mir ... der hat ... der ist das letzte Mal in Ihrem Seminar eingeschl ... hmm ... ist ein wenig eingenickt und ... und ist dummerweise mit dem Kopf nach vorne auf die Bank ... und da hat er sich das Nasenbein gebrochen. Und da dachten wir, daß ... wenn ... rblpfmmbl ... pffffl ..." 
"Aha!" 
sage ich streng. 
"Wer glaubt, daß er in meiner Vorlesung ein Kissen zum Schlafen brauchen kann, der beherrscht den Stoff offensichtlich schon so gut, daß er sicher die nächste Herleitung an der Tafel vormachen kann!!" 
Null Komma Null Zwei Sekunden ist kein Kissen mehr zu sehen. 
"Na, gut", 
knurre ich und schmeiße die Kreide aufs Katheder. 
"Da Sie offensichtlich ein paar Anschauungsbeispiele für die Logik brauchen, werde ich Ihnen ein paar aus dem wirklichen Leben erzählen." 
Die Studenten, die alle schon den Kopf eingezogen und die Augen zugekniffen hatten, atmen erleichtert auf. 
"Beispiel Numero Eins: Unser allseits verehrter B.MP.f.H. Stoiber verkündet, daß alle Universitäten Bayerns pauschal 10% einsparen müssen. Die Rektoren kommen auf dem Bauch angekrochen und jammern vor den Stufen des bayerischen Throns, daß dann aber rein rechnerisch ein ganzer Haufen Studienfächer abgeschafft werden müsse und gleichzeitig stiegen doch aber die Studentenzahlen. Ein Lakai des B.MP.f.H. antwortet ihnen streng: Dann müssen sich die Universitäten eben spezialisieren! Das, meine Herren, ist ein Beispiel für politische Logik. Was fällt Ihnen an diesem Beispiel auf?" 
Ein Student in der letzten Reihe hebt zögernd die Hand. 
"Wenn sich jede Universität auf Studienfächer spezialisiert, die es dann sonst nirgends mehr gibt, folgt daraus, daß lediglich alle Studenten, die das Fach studieren wollen, dort hinziehen. Daraus folgt aber, daß es genauso viele Studenten sind wie vorher und daß durch Spezialisierung kein Geld eingespart wird." 
"Es sei denn ...", 
ermuntere ich den Gedankengang weiter. 
Nachdenkliches Schweigen. 
"Es sei denn", 
meldet sich ein anderer Student, 
"man verhindert, daß die Studenten dort hinziehen ..." 
"Indem man ...?" 
"Indem man gesetzlich festlegt, daß jeder Schüler nur an der Universität studieren darf, die seinem Gymnasium am nächsten liegt." 
"Sehr gut!" 
sage ich zufrieden. 
"Ich muß erstaunt feststellen, daß Sie offensichtlich in meinem Kurs tatsächlich etwas gelernt haben!" 
Obwohl ich das eigentlich ja gar nicht beabsichtigt hatte; muß ich in Zukunft etwas vorsichtiger sein, was ich so alles in meinen LEERveranstaltungen daher labere. 
"Sie sehen also", 
fahre ich fort, 
"daß Sie schon mit ganz einfacher Deduktion in der Lage sind, die wahren Absichten hinter politischen Entscheidungen voraussagen zu können. Nur ... leider muß ich Sie enttäuschen: Sie hätten mit ihrer Herleitung vollkommen Recht, wenn es sich um einen normalen Menschen mit normaler Logik gehandelt hätte. Ich sagte aber, daß es sich um ein Beispiel von politischer Logik handele. Und politische Logik agiert ohne Gesetzmäßigkeiten im freien Raum der zufallsgesteuerten Ganglien (26) von Politikergehirnen. Mit anderen Worten: niemand plant, unsere Bewegungsfreiheit einzuschränken. Im Gegenteil wird gar nichts geplant; es wird nur ein wenig angewärmte Luft bewegt." 
"Beispiel Numero Zwei: Ein Dozent fährt auf einen Kongreß nach Bangkok. Der Kongreß dauert von Di bis Fr. Die Hotelübernachtung kostet 15 Euro. Der Dozent fliegt aber erst am So morgen zurück, weil Flugreisen, die sich über einen Sa erstrecken, nur ein Viertel vom normalen Flugpreis kosten. Der Dozent spart somit trotz der zusätzlichen zwei Übernachtungen 1760 Euro ein. Bei der Abrechnung der Reisekosten erstattet die Reiskostenstelle nur drei Übernachtungen, weil - ich zitiere - am Sa und So keine dienstlichen Tätigkeiten stattgefunden haben. 
Das, meine Herren, ist ein Beispiel für administrative Logik. Was können Sie aus diesem Beispiel lernen?" 
Ein Student meldet sich. 
"Daß man im Zusammenhang mit Behörden niemals logisches Denken antizipieren sollte?" 
"Richtig! Und hätte unser Dozent diesen Ratschlag beherzigt, dann hätte er ...? 
"... den teureren Flug am Fr Abend genommen, weil er es ja eh nicht aus eigener Tasche bezahlen muß!" 
"Ausgezeichnet! Verallgemeinert heißt dies: Schalten Sie immer ihren Logikapparat aus und vergessen Sie alles, was Sie bei mir gelernt haben, wenn Sie es mit Behörden oder Vorschriften zu tun haben!" 
Die Studenten grinsen unsicher. 
"Beispiel Numero Drei: Eine große Firma kündigt an, daß es die nächsten drei Jahre keinerlei Lohnerhöhungen geben wird und daß außerdem 20% der Mitarbeiter entlassen werden sollen. Die 20% besten und höchstqualifizierten Mitarbeiter machen daraufhin verbittert nur noch Dienst nach Vorschrift, werden schließlich mit enormen Abfindungssummen entlassen und finden sofort viel besser dotierte Stellen bei der Konkurrenz. Von den restlichen 80% werden alle über 50-jährigen, die aber den Hauptteil des Knowhows der Firma tragen, entlassen. Wie würden Sie mit Logik die Zukunft dieser Firma prognostizieren?" 
Nach einigem Zögern melden sich ein paar Studenten. 
"Ja?" 
"Die Firma hat ihr Knowhow und die engagiertesten Mitarbeiter verloren. Folglich wird die Qualität ihrer Produkte bestenfalls auf gleichbleibendem Niveau bleiben. Gleichzeitig profitiert die Konkurrenz, indem sie die motiviertesten Mitarbeiter einstellt. Folglich werden die Produkte der Konkurrenz mit der Zeit besser werden. Daraus folgt, daß die Firma immer mehr Schwierigkeiten beim Absatz ihrer Produkte haben wird." 
"Ausgezeichnet", 
sage ich. 
"Nun, der Aktienkurs einer Firma spiegelt nicht nur den derzeitigen Wert der Firma wieder sondern vielmehr noch dessen zukünftige Entwicklung. Folglich müßte nach besagter Ankündigung der Aktienkurs unserer Firma ins Bodenlose abstürzen. Statt dessen steigt er um 15%. Das nennt man die Logik der alten Männer. Möchte jemand versuchen, diese Logik zu analysieren?" 
Schweigen und Kopfschütteln im Auditorium. 
"Nun", 
sage ich, 
"es ist eigentlich ganz einfach. Im Top-Management sitzen fast ausschließlich Bastard Manager from Hell (B.M.f.H.). Das liegt an der bekannten Tatsache, daß nur ein Bastard rücksichtslos und gewissenlos genug ist, sich den Weg in den Vorstand einer großen Aktiengesellschaft freizuschießen. Die B.M.f.H.s sind aber alle schon über 60 (können Sie gerne anhand der Top-100-Manager-Liste des Manager-Magazins nachprüfen), weil das Abschießen von Konkurrenten einfach so seine Zeit braucht. Nun ist ein B.M.f.H. nicht dumm: er weiß genau, daß es maximal 5-8 Jahre dauern wird, bis er selber wieder abgeschossen bzw. in den Aufsichtsrat abgeschoben wird. In dieser Zeit muß er das maximal mögliche Kapital aus seiner Position herausschlagen. Er wird also alles tun, um die Dividende seines Aktienpaketes in die Höhe zu treiben, auch wenn es nur ein paar Jahre gut geht. Dazu eignet sich am besten das Feuern und Rausekeln von hoch bezahlten Arbeitskräften. Der angenehme Nebeneffekt ist, daß natürlich mit höherer Dividende auch der Aktienwert zumindest kurzfristig in die Höhe schießt, und der B.M.f.H. nochmal einen guten Schnitt machen kann, wenn er im richtigen Moment sein Aktienpaket verkauft. 
Was können Sie also in Bezug auf die Logik alter Männer lernen?" 
Ein Student meldet sich: 
"Äh ... man sollte auf der Basis von logischen Deduktionen keine Börsenspekulationen machen?" 
Ich schüttele mißbilligend den Kopf. 
"Quatsch! Haben Sie denn nicht zugehört? Sie sollten natürlich nur von Unternehmen Aktien kaufen, die gerade ankündigen, die halbe Belegschaft rauszuschmeißen!"
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