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28.07.2004 BASTARD   MAILING   LIST   © Florian Schiel
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Trotz der letzten Spam-Orgie (wir erinnern uns) wagen es immer noch einige naive DAUs, sich wegen des zunehmenden Spam-Verkehrs an unserem LEERstuhl zu beschweren. Damit diese Leute endlich mal den Ernst des Lebens kennenlernen, poste ich ihre Email-Adressen auf einem Fake-Web-Server mit 100000 künstlichen Webseiten, die alle kreuzweise untereinander gelinkt sind. Jeder Email-Harvest-Bot wird sich darauf stürzen wie ein ausgehungerter Eisbär auf einen vergammelten McDonalds-Fishmac! Um die Sache abzurunden, schicke ich ihre hostnames auch noch an diverse Blacklist-Server, so daß auch abgeschickte Email praktisch nirgendswo mehr angenommen werden. 
Erschöpft, aber tief befriedigt nach dieser Großtat gehe ich hinunter in den Biergarten vor der Cafeteria und genehmige mir meinen Frühschoppen. Im Geiste deklariere ich die nächste Stunde als 'Sprechstunde', damit ich sie mit gutem Gewissen zur 42-Stundenwoche zählen kann. Das ist vollkommen in Ordnung, solange ich im Biergarten mit hübschen Studentinnen spreche. (Hübsche Studentinnen sind mehr als genug da, weil für heute Nachmittag eine Semesterabschluß-Schaum-Party geplant ist. Die Fachschaftsvertreter der technischen Chemie sind gerade dabei, ein gigantisches Planschbecken auf der Terrasse mit Schaum zu füllen.) 
Mit hübschen Studentinnen ins Gespräch zu kommen, ist für einen erfahrenen BAfH kein Problem. Ich sage zum Beispiel: 
"Hi! Ich bin das Ergebnis eines tragisch mißlungenen genetischen Experiments im humanbiologischen Institut. Eigentlich wollten sie in mir die die Kraft eines Tigers mit dem Charakter eines Delphins kombinieren. Leider ist was schiefgegangen und jetzt habe ich nur die fusselige Denkweise des Delphins und den Schwanz des Tigers abgekriegt!" 
oder: 
"Hi! Habt ihr zufällig meinen Freund Brat vorbeikommen sehen? Er trägt einen altgriechischen Speer und hat einen lächerlichen Helm auf ..." 
Eine Stunde später habe ich ein Dutzend Telefonnummern und Email-Adressen eingesammelt, mit denen ich mich später in aller Ruhe befassen werde ... 
Ich will gerade in mein Allerheiligstes zurückkehren, als der 'Engel' samt seinem Fahrrad die Terrasse betritt. Nein, keine Panik! Das ist kein ehemaliger Kollege von mir, der den Zorn des Himmels auf mein Haupt herab beschwören soll. Der 'Engel' ist genauso sterblich wie ihr alle, nur - er hat eine etwas extravagante Art sich zu kleiden: glitzerndes Ballkleid mit Reifrock, darunter ein langärmeliges Sweat-Shirt, Bergschuhe, eine kompliziert drapierte und ziemlich hohe weiße Perücke, auf dem Rücken befestigt: zwei ziemlich große silberne Plüschflügel, von denen der eine leider abgeknickt ist. Um dem Ganzen den letzten Touch zu geben, trägt er eine riesige Skibrille und eine Zahnspange mit externem Spannband und bayerische Wadenstrümpfe. (Kein Scheiß!) 
Ich taste unauffällig nach meiner Jackentasche. Tatsächlich: ich habe die DigiCam dabei! 
Es ist schwer zu glauben, aber der 'Engel' schafft es tatsächlich, in dieser komplizierten Montur auch noch Rad zu fahren! Direkt vor meiner Bank verfängt sich allerdings eine der Flügelspitzen in der Fahrradkette, und der 'Engel' flucht gottserbärmlich. Sehr im Gegensatz zu seinem luftig-weiblichem Outfit hat er eine kräftige, tiefe Stimme, die weithin durch den Biergarten schallt: 
"Kreuzkruzifix! Sch ... Kette, verdammte!" 
Eine hilfsbereite Fremdsprachen-Didaktik-Studentin will helfen, wird aber aufs Heftigste weggeschnauzt; der 'Engel' ist bekannt dafür, daß er Niemanden an sich heranläßt. Der 'Engel' zerrt heftig an seinem Flügel und schert beinahe den anderen Flügel am Lenker ab. Ich rücke ans Ende der Bierbank und beuge mich weit vor, damit ich besser sehen kann - was den verzweifelt kämpfenden Engel natürlich noch mehr in Rage bringt. 
"Was glotzde denn so affig?!" 
keucht er wütend. Das Fahrrad kippt und beinahe verliert er das Gleichgewicht. 
"Ich hab' noch nie einen Engel gesehen, der so blöd ist, daß er sich mit seinen Flügeln in der Fahrradkette verfängt", 
sage ich ernsthaft, denn es stimmt sogar, und stütze mich gemütlich auf meine Ellbogen. 
Der 'Engel' läuft vor Wut lila an und verheddert sich auch noch mit seiner Zahnklammer in der Handbremse. 
In diesem Moment kommen der leitende Hausmeister, der Gehilfe des leitenden Hausmeisters und der Stellvertreter des Gehilfen des leitenden Hausmeisters von ihrem zweiten Frühschoppen aus der Cafeteria, bleiben wie ein Mann stehen und stieren mit offenen Mündern den 'Engel' an. Ich winke heftig dem leitenden Hausmeister, und er kommt mit seinem Troß im Schlepptau zögernd näher. 
"Der gute ... hmm ... Mann braucht offensichtlich Hilfe", 
sage ich energisch. 
"Wir wollen ja dieses Jahr nicht noch mehr tragische Todesfälle, oder?" 
Die Hausmeister kapieren augenblicklich meine zarte Anspielung auf den ertrunkenen Wartungstechniker im Liftschacht und schütteln heftig ihre Klingonenhäupter. Damals haben sie einen geharnischten Rüffel vom 'Obersten der Klingonen' (Leiter der Hausinspektion) abbekommen, und der dritte Frühschoppen wurde ersatzlos gestrichen. So was bleibt einem Hausmeister natürlich lange im Gedächtnis. 
"Also: einer hält den Vorderreifen fest, einer den ... äh ... Menschen", 
kommandiere ich aus sicherer Entfernung. 
"Und Sie versuchen, die Flügel aus der Kette zu bekommen!" 
Der 'Engel' tobt und spuckt, aber der Stellvertreter des Gehilfen des leitenden Hausmeisters ist nicht so leicht aus der Ruhe zu bringen und umklammert ihn einfach wie ein Schraubstock von hinten. Der leitende Hausmeister versucht derweil tapfer, die Flügelspitze aus der Kette zu befreien. Es geht aber nicht - unter anderem deshalb, weil ihm der rasende Engel mit den Bergschuhen gezielte Tritte gegen das Schienbein verpaßt. Ich mache unauffällig die Kamera fertig und rufe dem Hausmeister zu, daß er die Kette zurückdrehen müsse. 
"'s geht aber ned!" 
schnauft er angestrengt. 
"Aua! Kreizkruzifix nochmal!" 
"Sie müssen alle ein Stück zurückgehen!" 
schreie ich über den Tumult und drücke wie wild auf den Auslöser. 
"Wenn das Hinterrad sich rückwärts dreht, dann dreht sich auch die Kette zurück!" 
Gehorsam hoppelt die Hausmeistertruppe ein paar Schritte nach hinten und zerrt den heulenden 'Engel' mit sich. Der Gehilfe des leitenden Hausmeisters schreit noch eine Warnung, aber es ist bereits zu spät: sein Stellvertreter stolpert über den Rand des Planschbeckens und fliegt rückwärts in den Schaum - und die ganze laokoonische Truppe folgt samt Fahrrad den vereinten Gesetzen der Dummheit und Schwerkraft. 
Später, als ich die Bilder per attachment an die lokalen Abendblätter schicke, sinniere ich darüber nach, was die hiesige Boulevardpresse eigentlich ohne mich anstellen würde ...
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