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27.07.1999 BASTARD   MAILING   LIST   © Florian Schiel
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The Carp Model
Summer Hotline weiter 
Rascal
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Sommerferien. Der Chef ist auf seiner üblichen Sommer-Konferenz-Welt-Tour (New York, Malaysia, Fidschi, Hawaii, Berchtesgaden, Pretoria), Kollege O. liegt immer noch mit Lila-Reizwäsche-Allergie im Krankenhaus, Marianne besucht eine lesbische Veranstaltung zur Festigung der astralen Persönlichkeit und sogar Frau Bezelmann ist auf einer Lama-Fang-Expedition in den nördlichen Anden. 
Und ich sitze hier mit Nero im Büro und langweile mich zu Tode. 
Nachdem wir uns drei Stunden lang abwechselnd angegähnt haben, und ich schon Muskelkater in der Backenmuskulatur verspüre, nehme ich Neros Käfig, und wir machen einen kurzen Ausflug hinüber ins Rechenzentrum zu den Jungs der Hotline, die sich in diesen mauen Zeiten genauso langweilen wie ich. 
Anton, der offiziell gerade Schicht hat, studiert eigentlich transsilvanische Metaphysik im 38. Semester, ist aber schon seit der Gründung des Rechenzentrums mit dabei. Seine Kollege Konrad, der auch nur aus akuter Langeweile hier herumlungert, ist von Beruf hauptamtlicher Schneeräumer und arbeitet deshalb naturgemäß nur im Winter, und auch dann nur, wenn eben Schnee liegt (ist ja logisch, oder?). Er hat diesen Beruf gewählt, weil er erstens einzigartig ist, und weil er zweitens im Sommer mehr Zeit hat, die Topless-Girls im Englischen Garten zu betrachten. Um nicht verhungern zu müssen, verdingen sich beide als Hilfskräfte in der Hotline des Rechenzentrums. Wir einigen uns, daß jeder mal im Uhrzeigersinn dran ist, und mischen die Ausredenkarten. Kurz darauf klingelt tatsächlich das Telefon. Konrad ist als erster dran und dreht den Lautsprecher auf, während ich den DAT-Recorder einschalte. Beides natürlich ganz fürchterlich streng verboten und deshalb ganz besonders reizvoll.
Der Anrufer nuschelt undeutlich: 
"Ist da die Hotline? ... Ah, ja. Also: immer wenn ich mich einwählen will, kommt bloß so ein komisches Pfeifen und dann nichts mehr ..." 
"Ah, so! Verstehe ..." 
sagt Konrad und zieht eine Karte vom Stapel. Dann hält er sie hoch, so daß wir sie alle sehen können: 
'Elektromagnetische Doppler-Strahlung durch abstürzenden Satelliten-Müll' 
steht darauf. Alle Anwesenden - einschließlich Nero - stöhnen unterdrückt. So ein alter Hut! 
"Alles, was Sie hören, ist also ein lautes Pfeifen", vergewissert sich Konrad. 
"Genau! Und dann passiert nichts mehr ..." 
"Hmm, ich denke, da pfeift gar nicht Ihr Modem, sondern das ist wieder so eine verdammte rotations-invariante Doppler-Einstrahlung der Mir ..." 
"Häh?" 
"Ja, Sie wissen schon ... die Teile der alten russischen Raumstation Mir kommen jetzt Teil für Teil herunter. Sie glauben gar nicht, was wir hier zur Zeit für einen Ärger mit Dopplerstrahlung haben ..." 
'Sie wissen schon ...' ist ein alter Hotline-Trick. In der richtigen Betonung macht es den ahnungslosen Deppen am anderen Ende zum High-Tech-Mitverschworenen. Prompt kommt als nächstes aus dem Lautsprecher: 
"Wirklich? Ach ja, stimmt! Davon habe ich auch schon gehört ..." 
Was für ein Klugscheißer! Anton und ich geben beide das Time-Out-Zeichen und Konrad muß nach den Spielregeln noch eine Karte ziehen: 
'Modem-Ausgang mit ausgebrannten Elektronen verstopft' 
"Könnte aber auch sein", sagt Konrad nachdenklich, "daß Ihr Modem-Port verstopft ist ..." 
"Verstopft???" 
"Ja, meistens, wenn das Modem längere Zeit nicht benutzt wurde, ist der ganze Port voll mit ausgebrannten Elektronen ..." 
"Ausgebr ...? Aber ..." 
"Wann haben Sie das Ding denn das letzte mal durchgespült?" 
Verblüfftes Schweigen. Dann: 
"Sie meinen ... so richtig ... durchspülen? Mit ... mit Wasser ...?" 
Konrad seufzt laut ins Mikro. 
"Natürlich nicht mit Wasser! Sie wollen doch keinen Kurzschluß in Ihrem Modem haben, oder? Alkohol natürlich! Reiner medizinischer Alkohol! Oder Glycol können Sie auch nehmen. Einen kräftigen Schuß durch die oberen Spülschlitze gießen! Sie werden sehen, das wirkt bei verstopften Modem-Ports wahre Wunder .... Jaja, schon recht. Auf Wiederhören ..." 
"Schwach!" 
ist der einzige Kommentar von Anton, und Nero krächzt abfällig dazu. Konrad holt beleidigt Luft, um seinem Leistungen zu verteidigen, aber in diesem Moment läutet schon wieder das Telefon. Anton hebt ab. Diesmal ist es eine sie, und wir rücken alle näher an den Lautsprecher. 
"Ja, äh ... hallo erstmal", piepst sie fröhlich. "Ja ... also, die Sache ist die: mein PC steht normalerweise in meinem Arbeitszimmer ... Aber ich bräuchte ihn ja eigentlich mehr in der Küche ..." 
"Ähm ... in der Küche?" 
"Genau! Wegen der Kochrezepte, und so. Und ... und in der Gebrauchsanweisung steht nun, man solle den Computer aber nur an einem trockenen Ort betreiben. Und eine Küche ist ja wohl nicht trocken, oder? Mit dem ganzen Dampf, und so?" 
"Äh ..." 
"Und dann hatte ich diese geniale Idee, daß ich den Computer einfach im Arbeitszimmer lasse, und nur den Schirm und die Tastatur in die Küche ..." 
"Genial", bestätigt Anton und wirft uns einen verzweifelten Blick zu. "Und wo liegt jetzt das Problem?" 
"Die Kabel sind zu kurz", kommt es vorwurfsvoll zurück, so als ob Anton persönlich dafür zur Verantwortung zu ziehen sei. 
Anton zieht eine Karte vom Stapel: 
'Bügel-BH wirkt als Empfangsantenne' 
"Ja ... hmm ... ich verstehe. Sie bräuchten also eine Verlängerung für den Monitor und die Tastatur, damit sie beides in der Küche ... äh ... installieren können ..." 
"Prima! Wo gibt es denn solche Verlängerungen?" 
"Hmm ... nicht so hastig. Die Tastatur sollte kein Problem sein. Aber beim Bildschirm, da ist die Sache nicht so einfach, verstehen Sie? Wegen der hohen Zeilenfrequenzen kann es zu üblen Interferenzen kommen ... Ich muß jetzt eine etwas indiskrete Frage stellen: Tragen Sie einen Bügel-BH?" 
"Einen Bügel- ... was ... wieso wollen Sie denn das wissen?!" 
"Ich erklär's Ihnen kurz: Die intermodulare Bus-Taktfrequenz auf den paarweise gespleißten TP-Leitungen des Monitor-Kabels strahlt irgendwo im Fünfzig-Zentimeter-Band ..." 
"Oh!" sagt sie. 
Mit anderen Worten: DUMMY MODE ON! 
"Ja, und wie Sie sich denken können ..." da war's wieder! "... wird jede leitfähige Struktur von ca. 25 cm Länge als Dipol-Antenne wirken und kräftige Resonanzen auslösen. Das kann ausgesprochen unangenehm sein für ... für ... also für den Träger eben! Tragen Sie also einen Bügel-BH?" 
"Äh ... ja ..." 
"Ziehen Sie ihn aus!" sagt Anton ungerührt. 
"Waaas?!" 
"Ja, klar. Oder wollen Sie vielleicht die Bügellänge ausmessen, während Sie ihn tragen? Ziehen Sie ihn aus, holen Sie ein Maßband und messen die Länge der Bügel! Wir sollten das unbedingt abklären, bevor Sie eine Verlängerung installieren. Schon aus Sicherheitsgründen ..." 
Sie macht es! Sie legt den Hörer weg und macht es tatsächlich!!! 
Konrad und ich wälzen uns im ROTFL-Zustand auf dem Boden und stopfen uns alte Quota-Ausdrucke von 1974 ins Maul, damit wir nicht laut losprusten. Auch Konrad hat sichtlich Probleme, seine Stimme ruhig zu halten. Nach einer kurzen Weile meldet sich die Anruferin wieder. 
"Achtundvierzig Zentimeter", 
haucht sie ins Telefon, und wir nicken alle anerkennend (auch Nero nickt). Warum sind eigentlich alle Hotliners solche Chauvis? Müßte man auch mal untersuchen ... 
"Achtundvierfzig also", wiederholt Anton. "Und Sie tragen immer ungefähr den gleichen Bügel-BH?" 
Sie bestätigt auch das. Konrad murmelt ein paar Sekunden vor sich hin, als würde er rasch im Kopf ein paar Formeln überschlagen. 
"Schaut ganz so aus, als ob wir damit noch im unterstützten Bereich liegen", verkündigt er dann fröhlich, und Anton prustet wieder los. "Sie können sich also beruhigt eine Verlängerung besorgen. Die bekommen Sie in jedem Computer-Fachgeschäft." 
Mir bleibt gerade noch Zeit, die Kassette zu wechseln und vom ISDN-Display die Nummer der Bügel-BH-Frau zu notieren, da klingelt es schon wieder. Diesmal hebe ich ab. Und es ist wieder eine sie! Heute ist scheint's unser Glückstag! 
Nach den einleitenden Floskeln sagt sie schüchtern: 
"Ja, also ... ich habe nämlich einen Macintosh Computer ..." 
Ich sage ihr beruhigend, daß das bestimmt nichts sei, weswegen man sich schämen müsse, und wo denn das Problem liege. 
"Ja, also. Seit heute morgen bleibt der Bildschirm einfach dunkel ..." 
Ich ziehe meine Karte: 
'Akustische Ferndiagnose' 
"Er bleibt also dunkel", sage ich, "und sonst passiert nichts? Sind zum Beispiel irgendwelche Töne hörbar?" 
"Ja, stimmt! Wenn man ihn einschaltet, kommen ein paar seltsame Töne ..." 
Ganz klar: die berühmten 'Chimes of Death'. Wahrscheinlich ein defektes RAM-Modul oder sonst irgendwas Ekelhaftes auf dem Motherboard. Irgendein ausgeflippter Programmier-Freak bei Apple muß damals wirklich eine gute Zeit gehabt haben! Hmm, mal sehen, was man daraus machen kann ... 
"Können Sie ihn mal einschalten? Ich würde mir das gerne mal anhören ..." 
"Ja ... äh ... das geht leider nicht: Der Mac steht im ersten Stock und oben habe ich kein Telefon ..." 
Perfekt! 
"Es ist ganz wichtig, daß ich einen kreuzmodulierten Referenz-Check mit Hilfe des akustischen Ferndiagnose-Units durchführen kann", sage ich eindringlich. 
"Oh!" 
sagt sie. Mit anderen Worten, usw. 
"Sie gehen jetzt hinauf zu dem Patienten, schalten ihn an und versuchen sich die Melodie zu merken. Dann kommen Sie wieder zum Telefon und singen die Melodie nach ..." 
"Ähm ... ok ..." 
Sie macht es! Vielleicht könnte ich sie sogar bitten, ein Taxi zu rufen, dem Taxifahrer die Melodie beizubringen und ihn hierher zu schicken ... Naja, wir wollen es mal nicht übertreiben! 
Während sie weg ist, ermittele ich aus der Telefonnummer rasch ihre Daten. Drei Minuten später ist sie wieder da. 
"Also ..." 
"Moment noch", unterbreche ich, "ich muß noch den Ferndiagnose-Unit starten ..." Ich klappere ein wenig mit der Tastatur. "Jetzt!" 
"Hrrrm ... dadadidaaah - didadadaaaahhh!" 
Ich reagiere nicht. 
"Hallo?" meldet sie sich nervös. "Haben Sie ...?" 
"Sind Sie GANZ sicher mit der Melodie?" frage ich skeptisch. 
"Äh ... ja, ich denke schon ..." 
"Singen Sie's nochmal!" 
"Aber ..." 
"Singen Sie's einfach nochmal, ok? Vielleicht mit etwas mehr Gefühl, ja? Ich kann das einfach nicht glauben. Unglaublich so was ..." 
Sie singt es tatsächlich noch einmal, allerdings mit ziemlich zittriger Stimme. Ich lasse sie noch insgesamt sechsmal vorsingen. Unglaublich, zu was sich Leute von der Hotline bringen lassen. Dann hole ich tief Luft und sage: 
"Tja, also, ich weiß jetzt gar nicht, wie ich Ihnen das 'rüberbringen soll. Ich mache schon 12 Jahre Dienst in der Hotline, aber so etwas ..." 
"WAS denn? WAS?!" 
Die Dame ist inzwischen schon leicht hysterisch. 
"Also, der Ferndiagnose-Unit hier hat sich das siebenmal angehört und behauptet ... Ich muß aber noch anmerken, daß immer noch ein kleine Chance besteht, daß der Unit sich geirrt hat, ich meine ..." 
"WAS?! WAS SAGT ER?!" 
"Er hat also die Melodie de-kodiert und meldet folgenden Text: 'Mein Leben ist sinnlos geworden, seit du mein Display nicht mehr streichelst. Lebe wohl, Katharina!' Heißen Sie Katharina?" 
Schweigen in der Leitung. Dann ein ganz schwaches: 
"Ja ..." 
"Herzliches Beileid" sage ich mit gedämpfter Stimme, "ich fürchte, da sind wir mit unserer Kunst am Ende. Am besten wenden Sie sich wegen der Beerdigung an einen Apple Vertragshändler ... ich meine, wegen der Entsorgung ..."
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