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17.12.1999 BASTARD   MAILING   LIST   © Florian Schiel
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(Gähn! Schmatzschmatz ...) 
Wer sagt eigentlich, daß ich immer wie ein Uni-Assistent aussehen und handeln muß? Wieso auch? Ich könnte ja zur Abwechslung auch mal ein Ameisenbär mit Nobelpreis sein. Oder ein unbestechlicher Politiker. Oder ein Angestellter der 'Reisekostenstelle from Heaven'. Oder ein Einsiedlerkrebs mit Satellitenschüssel. Oder ...
"... hat natürlich auch ... ähh ... sollte bei genauerer ... hmm ... Analyse bzw. durch Anwendung der ... äh ... der ... hrrrrm ... der Eigenwertbestimmung ... ähm ..." 
Teufel, wie ich diese Hauptseminare hasse! Und dann sagt der Chef auch noch, er brauche meinen wertvollen Input! Als ob ich jemals den Mund in einem Hauptseminar aufgemacht hätte! 
(Gäääääähhhhnnn!) 
Gar nicht so einfach, mit geschlossenem Mund zu gähnen! Und dabei auch noch interessiert zu schauen! Ich glaube, beim letzten Gähnen hab' ich mir den linken Kaumuskel gezerrt! (Seufz!) 
"... und das setzen wir in Gleichung <scrollscrollscroll> ähm ... Gleichung <scrollscroll> Ah, hier war's! In Gleichung 14 ... hmm ... 14? Äh, ja! Also, in Gleichung 14 ... <scrollscrollscroll> ..." 
Vielleicht könnte ich auch eine Möwe sein ... Nein, ein Geier! Ein Geier mit CSU-Parteibuch! Hinterhältig ziehe ich am sonnendurchfluteten, weißblauen Himmel meine Kadaver-Aufklärungs-Kreise. Wo ist das nächste öffentlich geförderte Milliongrab, in das ich meine vergifteten Krallen schlagen kann? Dort! Am Horizont sammeln sich andere Amigo-Geier mit Gamsbärten über dem Maximilianeum. Ein leichter Schlag mit dem rechten Flügel und schon schieße ich pfeilschnell dahin, getragen auf dem warmen Luftstrudel steuerfreier Parteienfinanzierung ... 
"... äh ... ja? ... äh ... Herr ... ähm ... Herr Leisch? Sie haben ... hmm ... haben eine Frage ...?" 
Scheiße! Ich hab' mich wieder mal von meinen Phantasien hinweg reißen lassen, und der Chef hat mein Manöver mit dem rechten Flügel als Meldung interpretiert. 
"Äh ...", sage ich wenig souverän, "äh ... war das wirklich ... äh ... in Gleichung 14...? 
Der Chef schaut mich unsicher über den Rand seiner Brille an. 
<scrollscrollscrollscrollscroll> 
"Doch ... hmm ... doch ... ich denke, das ist ... äh ... richtig ... Gleichung 14 ..." 
<scrollscrollscrollscrollscroll> 
Zum Glück stellt gleich darauf ein Student eine noch blödere Frage, die der Chef nicht versteht und die der Kollege O. zuerst dolmetschen muß usw. usf. 
Bevor der Chef wieder zu seinem roten Faden zurückfinden kann, stehe ich plötzlich auf, stecke feierlich die rechte Hand in die Knopfleiste und erkläre pathetisch die Schlacht für gewonnen. 
Alle fünfzehn Hauptfachstudenten, der Kollege O, Marianne und der Chef starren mich überrascht an. Der Chef blinzelt unsicher: 
"Äh ... hrrrm ... wie bitte?" 
"Aber nur, wenn man als Geier die Temperatur der Schlagsahne einschlägig berücksichtigt", sage ich ernsthaft und hebe den linken Zeigefinger. 
"Schlagsahne?" fragt der Kollege O. verwirrt. 
Ich steige auf den Tisch, breite meine Schwingen aus und springe elegant von Reihe zu Reihe, dem Ausgang zu. 
"Eins, zwei, drei ... Geiertummelei. Vier, fünf, sechs ... Kaktusstammgewächs. Sieben, acht, neun ... Geiersingverein", singe ich die Tonleiter in h-moll hinauf. 
"Aber ... äh ... Leisch ... hrrrrrrm! Was soll denn das?!" Der Chef ist konsterniert. 
"Einverstanden!" sage ich mit schwülem Augenaufschlag und drehe auf der letzten Bank eine langsame Pirouette. "Aber wir fliegen zusammen!" 
Damit springe ich von der Bank herunter und schlüpfe aus dem Hörsaal, nicht ohne vorher das Licht auszuschalten. 
Der Hausmeister, der Hilfshausmeister und der Assistent des Hilfshausmeisters lungern wie üblich um diese Zeit in der Halle herum und versuchen, die Zeit bis zur nächsten beamtenordentlich vorgeschriebenen Ruhepause tot zu schlagen. Der Assistent des Hilfshausmeisters hat prominent abstehende Ohren, die von seiner luftgefüllten Kugel in Position gehalten werden. Im Vorbeigehen schnappe ich mir das eine durchscheinende Ohrwaschel und ziehe kräftig nach unten. Der liebe Junge quiekt wie ein Nilpferdjunges und läßt reflexartig die Knie einknicken. Mit meinem silbernen Kugelschreiber berühre ich feierlich seine beiden Schultern und spreche salbungsvoll: 
"Hiermit schlage ich Euch zum Ritter des grünen Schneepfluges! Erhebt Euch, Sir Ohrenweit! Möge der Diesel immer mit Euch sein!" 
Bevor sich die Hausmeister von ihrem Schreck erholen können, bin ich schon im Aufzug und auf dem Weg nach oben. Auf halber Strecke schalte ich die Notbremse ein und singe drei Strophen aus 'Singin' in the Rain', weil es im Aufzugsschacht so schön hallt! Als ich oben ankomme, stehen schon der Kollege O., Marianne und Frau Bezelmann vor der Türe. Frau Bezelmann versucht erfolglos, eine Zwangsjacke hinter ihrem Rücken zu verstecken. 
"Leisch!" ruft Marianne, sobald die Schiebetür aufgleitet. "Bist du jetzt völlig übergeschnappt?!" 
"The vultures", sage ich betont würdevoll, "are not what they seem!" 
Damit drücke ich rasch den Knopf für das oberste Stockwerk, und die Schiebetür gleitet gehorsam wieder zu. 
"Er fährt nach oben!" 
höre ich Frau Bezelmann kreischen, und hastiges Schuhgetrappel läßt mich vermuten, daß meine Kollegen versuchen, den Aufzug im olympischen Treppenlauf zu schlagen. Um sie nicht völlig zu demoralisieren, halte ich den Aufzug kurz vor dem Ziel wieder mit der Notbremse an und drücke die Schiebetür mit der Hand ein Stück weit auf. 
Frau Bezelmanns schwarze Killerstilettos tauchen genau auf meiner Augenhöhe auf. 
"Leisch!" japst der Kollege O. und geht in die Hocke, damit er mich besser sehen kann. "Was ist denn bloß los mit dir?" 
"Ich bin ein Geier", rufe ich mit drohender Stimme und schlage probeweise mit meinen ausgedehnten Schwingen. Der Fahrstuhlkorb wackelt heftig. "Glooork! Glork! Gloooooork!" 
"Komplett übergeschnappt", sagt der Kollege O. halblaut nach hinten zu Marianne und Frau Bezelmann. "Ich hab' schon immer gesagt, die Hauptseminare des Chefs werden noch mal jemanden in den Wahnsinn treiben ..." 
"Lassen Sie mich mal", drängt sich Frau Bezelmann in den Vordergrund. "Ich weiß, wie man mit Vögeln umgeht ... Hallo, Herr Geier! Kommen Sie sich da unten nicht etwas beengt vor? In dem kleinen Käfig da, meine ich. So ein großer Vogel wie Sie ... Sie sollten da herauskommen, meinen Sie nicht?" 
"Gloork!" sage ich und schaue lüstern auf Frau Bezelmanns Stilettos. 
"Wie wär's, wenn Sie ganz einfach den Lift weiterfahren ließen? Hier im Treppenhaus ist viel mehr Platz zum Abheben ..." 
Ich höre auf, mit den Flügeln zu schlagen. 
"Wissen Sie was?" 
sage ich geheimnisvoll und winke Frau Bezelmann, daß sie näher kommen soll. Sie geht bereitwillig in die Knie und beugt sich zu mir herab. 
"Ich bin gar nicht übergeschnappt", flüstere ich. "Ich habe nur das Hauptseminar des Chefs ..." 
"Ja?" 
"Das Hauptseminar, Sie wissen schon?" 
"Ja, natürlich! Ich weiß, wovon Sie reden: Das Hauptseminar von neun bis elf ..." 
"Genau!" Ich senke meine Stimme zu einem Wispern. "Ich habe mich verliebt!" 
"Was?!" 
"In das Hauptseminar! Verliebt! Es heißt Judith!" 
Damit löse ich die Notbremse und fahre wieder nach unten. 
Auf der sechsten Etage hält der Lift an, und eine Dame mittleren Alters steigt ein. Wahrscheinlich eine von den evangelischen TheologInnen. 
"Wußten Sie", sage ich plötzlich zwischen dem fünften und vierten Stock, "daß bei allen Menschen mikroskopisch kleine Milben in den Haarwurzeln der Augenbrauen leben?" 
Die Theologin lächelt ganz kurz in meine Richtung und fixiert dann wieder angestrengt den geschlossenen Spalt der Schiebetüren. 
"Natürlich nicht bei Geiern", sage ich beruhigend, "nur bei Menschen!" 
"Ah, ja? Tatsächlich?" sagt sie mit leichtem Tremolo in der Stimme. 
Ich nicke und schweige, bis wir kurz vor dem Erdgeschoß sind. 
"Geier", erkläre ich dann, "haben nämlich gar keine Augenbrauen." 
Beim Öffnen der Schiebetüren lasse ich der Theologin wohlerzogen den Vortritt, und sie schießt aus dem Lift wie eine Tomahawk III, die einen russischen Bomber wittert. 
Im Foyer steht der Chef und beantwortet noch ein paar Fragen von strebsamen StudentInnen, oder solchen, die sich zumindest wichtig machen wollen. 
("Mami, Mami, ich habe heute mit meinem Professor gesprochen!" 
"Das ist ja großartig, Kleines. Und ...?" 
"Er hat überhaupt nicht gebohrt!") 
Sobald der Chef mich erblickt, macht er sich von seinen Bewunderern frei und eilt, mir den Weg ins Freie abzuschneiden. 
"Äh ... Leisch ... hmm ... einen Moment noch ..." 
"Ja?" sage ich mit der natürlichsten Stimme der Welt. 
Der Chef stutzt und guckt mich forschend über den Rand seiner Lesebrille an. 
"Ähm ... das ... äh ... vorhin im ... im Hauptseminar ... mit dem ... äh ... Geier ... Sie ..." 
"Ja?" frage ich mit unschuldigem Augenaufschlag. 
Der Chef beugt sich vorsichtig vor und flüstert: 
"Was ... äh ... was sollte ... hmm ... sollte das denn, da vorhin ... äh ... meine ich ... im Hauptseminar ..." 
"Oh!" sage ich. "Das war nur ein psychologischer Test, wie unsere Studenten auf unvorhergesehene Situationen reagieren. Sie wissen doch, daß wir noch jemanden für die freigewordene Schleudersitz-Stelle suchen ..." 
"Ah ... ja?" 
"Ja, ich wollte testen, ob vielleicht unter den Hauptfachstudenten im letzten Semester ein cleverer Kandidat mit beflügeltem Geist dabei ist. Aber Sie haben ja selber gesehen ... keiner hat reagiert - leider!" 
"Oh!" Der Chef ist sichtlich erleichtert. "Na, dann ... äh ..." 
"Übrigens", füge ich hinzu, "Könnte ich mir für morgen frei nehmen?" 
"Ja ... äh ... ich denke schon ... warum?" 
"Ich treff' mich mit ein paar Kollegen aus der Serengeti zum Wettfliegen am Geierstein", sage ich und flattere ins Freie.
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