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14.02.2001 BASTARD   MAILING   LIST   © Florian Schiel
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Professional Substitute
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Ihr werdet das folgende zwar nicht glauben, aber ich versichere feierlich, daß es die Wahrheit und nichts als die Wahrheit, äh ... und so weiter. Es geschehen eben auch heutzutage aus heiterem Himmel (autsch!) noch Zeichen und Wunder: 
Der LEERstuhl hat eine Stelle neu zu besetzen! Eine richtige, wissenschaftliche, brandneue Stelle!!! Eine Stelle, die es vorher nicht gab!!!!! 
Wer mit dem deutschen akademischen Leben nicht so ganz vertraut ist, wird sich jetzt enttäuscht zurücklehnen, den Kaugummi in die andere Backe schieben und denken, daß das ja nun wirklich kein Grund sei, sich so ungebührlich zu erregen. Eine neue Stelle ist zu besetzen. So what? Keep cool, man! 
Um die Tragweite dieser Tatsache vollkommen erfassen zu können, muß man wissen, daß an unserem LEERstuhl seit 1964 keine neue Stelle mehr besetzt worden ist! Ein Kollege drüben bei den WiSos (Wirtschaft + Sozialwissenschaften) hat spaßeshalber mal ausgerechnet, daß die Uni bei Beibehaltung des derzeitigen Trends im Jahre 2009 negative Beschäftigtenzahlen ausweisen werde ... 
Egal, der Chef hat jedenfalls - nachdem sich die erste Aufregung gelegt hatte; der Kollege Rinzling mußte, nachdem er die unglaubliche Nachricht erfahren hatte, mit Herzkammerflimmern ins Krankenhaus eingewiesen werden - der Chef also hat mir ganz offiziell die verantwortungsvolle Aufgabe übertragen, einen geeigneten wissenschaftlichen Mitarbeiter für diese sagenhafte Stelle ausfindig zu machen. 
"Äh ... ja ... hrrrm ... Sie wissen natürlich, Leisch ... ähm ... was ... äh ... was das bedeutet. Hmm, die ... äh ... die ... Dings ... die ..." 
"Stelle?" versuche ich behutsam etwas zu beschleunigen. Aber der Chef schüttelt heftig den Kopf. 
"... die Dings ... die Verwaltung ... hmm ... ja, die Verwaltung hat uns die Stelle zwar zuge ... äh ... zugewiesen ... hmm ... aber die warten ... äh ... lauern natürlich nur darauf ... äh ... daß wir einen ... hmm ... einen ..." 
"Dings?" 
"... einen Formfehler bei der ... hrrrrm ... bei der Stellenausschreibung oder ... äh ... so machen ... äh ... damit sie die ... ähm ... also, die Stelle könnte ... ähm ... könnte sofort wieder gestohlen ... äh ... gestrichen werden ... äh ... in der Lage zu sein ... ähm ... möglicherweise ... ja ... hmm ... sogar ziemlich wahrscheinlich, weil ... Sie sehen also ...", 
bei diesen Worten schaut mich der Chef noch ernster als sonst über den Rand seiner Lesebrille an, wie immer, wenn er zum Kernpunkt einer fundamentalen Aussage gelangt, 
"... sehen also, daß ... äh ... wie außerordentlich ... hmm ... außergewöhnlich vorsichtig Sie ... in diesem Falle ... hmm ... vorgehen müssen ..." 
Ich versichere dem Chef, daß er sich wie immer vollkommen auf mich verlassen könne, und gehe unverzüglich daran, die einschlägigen Verwaltungsvorschriften aus dem Internet zu laden. Keine drei Tage und 89 Kannen schwarzen Kaffees später bin ich durch die wichtigsten Normen durch. Nebenbei muß ich hier bemerken, daß ein normaler menschlicher Angestellter diese Flut von widersinnigen, sinnlosen, sich gegenseitig widersprechenden und grottenschlecht formulierten Paragraphen unmöglich in so kurzer Zeit hätte absorbieren können, ohne unweigerlich mit galoppierender Paranoia Legis Publicantis in der geschlossenen Abteilung zu landen! Diese Erfahrung bestätigt nur einmal mehr, daß Scott Adams vollkommen recht hat, wenn er den Verdacht äußert, Verwaltungsangestellte und Buchhalter seien in Wirklichkeit eine besonders widerwärtige, aber hervorragend angepaßte Abart des gemeinen, patagonischen Würgetrolls. 
Jedenfalls ist mir nach dieser übermenschlichen Anstrengung und einigen sehr interessanten Konsultationen eines befreundeten Kollegen (B.J.f.H.) im Justizministerium vollkommen klar, daß der Chef mit seinem untrüglichen Instinkt leider nur zu recht hat: die Verwaltung hat alles getan, um die tatsächliche Vergabe der Stelle unter allen Umständen zu verhindern. 
Nach einigen Überlegungen, entscheide ich mich dafür, den Feind wie üblich frontal anzugehen und lasse mich von Frau Bezelmann mit dem Ober-Mufti in der Stellenverwaltung der Uni, Herrn ORD Kaltenschneuzler, verbinden. 
"So und so", erkläre ich dem ORD (Oberregierungsdirektor), nachdem wir uns unter Einhaltung der minimal möglichen Höflichkeitsformen eiskalt begrüßt haben. "Es geht also um die Vergabe der besagten Stelle an unserem LEERstuhl, Sie wissen schon." 
Der ORD weiß Bescheid. Wahrscheinlich wartet er schon seit 72 Stunden Tag und Nacht auf meinen Anruf. 
"Nun ist die Sache nicht ganz einfach", fahre ich fort, "wir können ja nicht einfach eine Stellenausschreibung loslassen, ohne die Vorschriften zu beachten, nicht wahr?" 
Der ORD am anderen Ende der Leitung schnauft nur als Antwort. Ich kann ihn förmlich sehen, wie er sich enttäuscht in seinen 5000 Mark teuren Chefsessel zurücklehnt und seiner Sekretärin, die neugierig durch den Türspalt lugt, ärgerlich abwinkt: So ein Mist, denkt er jetzt wahrscheinlich, diese blöden Wissenschaftler haben den Braten gerochen! Dann erkundigt er sich in vorsichtig-neutralem Ton bei mir, wo ich denn da ein Problem sehen würde. 
"Nun ja", sage ich freundlich, "da ist natürlich als allererstes die Frauenquote zu berücksichtigen. Wenn ich die Zahlen von unserem Department richtig im Kopf habe, dürften wir eigentlich nur eine Frau einstellen. Alles andere wäre schon mal vorschriftswidrig ..." 
"Ach so ...", sagt der ORD enttäuscht. Er dachte doch wohl nicht im Ernst, daß wir in eine so plumpe Falle tappen würden! 
"Ja, und dann gibt es da noch die Quote für nicht-deutsche EU-Studienabschlüsse, die bevorzugte Einstellung von körperlich Behinderten (bei gleicher Eignung natürlich!), Quoten für ethnische Minderheiten und natürlich die verschiedenen Einstellungsvoraussetzungen, angefangen bei der richtigen Schulausbildung (selbstverständlich nur bayerisches Abitur) und dem Studienabschluß (mindestens Magister oder Diplom oder einen entsprechenden ausländischen Abschluß). Nicht zu vergessen die ganzen komplizierten akademischen Austauschabkommen mit außereuropäischen Staaten, z.B. mit Quebec ..." 
"Soso", kommentiert der ORD betont gelassen und in einem wohlwollenden Tonfall, der Bewunderung für meine erstaunlichen Kenntnisse ausdrücken soll, "da haben Sie sich ja wirklich genauestens informiert ... 
Mist!!! Ich wußte doch, daß da noch was fehlt! Fieberhaft zermartere ich mein armes Vorschriften-umnebeltes Großhirn. Wo ist der Haken? Mit welchem geilen Trick will er mich packen? Was habe ich nicht berücksichtigt, auf das sich die Verwaltung, sobald die Ausschreibung raus ist, wie eine ausgehungerter tasmanischer Teufel stürzen wird! 
"Das ist natürlich noch nicht alles", klopfe ich auf den Busch. 
"Ach ja?" meint der ORD nervös. 
Jetzt ist es definitiv! Ich habe eine Vorschrift vergessen, und der ORD hofft inständig, daß ich nicht drauf komme! Wahrscheinlich zelebriert seine Sekretärin gerade irgendeinen gräßlichen Woodoo-Zauber, um mein Denkvermögen negativ zu beeinflussen. Mein Blick irrt wie wild über die zahllosen Gesetzeswerke, die sich meterhoch in meinem Büro stapeln, und fällt plötzlich auf den Umschlag eines Kommentars zu Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, der mit schwarz-rot-gold malerisch illustriert ist. Natürlich! So was Banales mußte es ja sein! Betont lässig spreche ich in den Telefonhörer: 
"Für den öffentlichen Dienst kommen logischerweise nur deutsche Staatsangehörige in Frage ..." 
An anderen Ende ist ein Geräusch zu hören, wie wenn man die Luft aus einem Luftballon läßt. Nur daß der Ballon hundertmal größer ist als gewöhnlich ... BINGO! 
Bleibt nur noch das kleine Problem, eine geeignete Kandidatin aufzutreiben: Am besten eine mindestens 60 % schwerbehinderte Sinti mit bayerischen Abitur, erstklassiger Studienabschluß in Frankreich mit nachgewiesenem Auslandsaufenthalt in Quebec, Kanada - und natürlich reinster deutscher Abstammung!
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