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15.12.2002 BASTARD   MAILING   LIST   © Florian Schiel
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Es ist Mitte Dezember und die unausweichliche Katastrophe namens Weihnachtsfeier steht vor der Türe. In den Kaffeepausen häufen sich die dezenten Andeutungen, "daß sich endlich mal jemand um die Jahresendfeier kümmern" solle. 
Auf unserem Campus heißt die Weihnachtsfeier offiziell 'Jahresendfeier', seit sich 1992 ein süd-thailändischer Aushilfsbodenpfleger beim Personalrat wegen des diskriminierenden Veranstaltungstitels beschwert hatte. Interessanterweise hatte die Tatsache, daß der süd-thailändische Fußbodenkosmetiker im pharmazeutischen Archiv dreißig Kilometer südlich des Campus beschäftigt ist und noch niemals den Campus auch nur betreten hat, keinerlei Auswirkung auf die flammende Protestnote No. 7869 des Personalrats an die Uni-Leitung. Die Uni-Leitung hat wie immer schnell reagiert und nach nur dreieinhalb Jahren ein ministerielles Dekret erwirkt, in welchem alle Institute der Universität angewiesen werden, den Begriff 'Weihnachtsfeier' zukünftig in offizieller Funktion nicht mehr zu verwenden. 
Frau Bezelmann hat daraufhin in einer längeren Korrespondenz mit dem zuständigen Ministerialreferenten zu Recht darauf hingewiesen, daß die 'Institute' mittlerweile per Beschluß der Uni-Leitung abgeschafft und die assoziierten LEERstühle in sogenannte 'Departments' überführt wurden. Daß also das Dekret defacto hinfällig, weil gegenstandslos geworden, und daß sie deshalb - und als Angehörige eines Departments - keinen Grund sehe, den Begriff 'Weihnachtsfeier' nicht auch zukünftig in offizieller Funktion einzusetzen. Nun kann ein nach dem christlich-sozialen Unfehlbarkeitsprinzip ministeriell abgesegnetes Dekret nicht so einfach wieder geändert werden - jedenfalls nicht in Bayern und nicht solange der betreffende Minister noch nicht offiziell in einem Parteispendenskandal verwickelt ist. Der Ministerialreferent hatte also ein Problem. 
Nach ungefähr 46 Briefwechseln mit Frau Bezelmann - alle über den offiziellen Dienstweg und einer durchschnittlichen Laufzeit von 6 Wochen pro Brief -, löste der Minsterialreferent das Problem, indem er in den vorzeitigen Ruhestand wechselte. Da seine Planstelle sowieso auf der Streichliste stand, und somit kein Nachfolger das Amt übernehmen durfte, hängt die ganze Sache juristisch gesehen bis heute in der Luft, wenn auch Frau Bezelmann jeden, der es hören möchte (und natürlich auch allen, die es nicht hören möchten, aber nunmal irgendwie an ihre Post kommen müssen) erzählt, daß sie die Auseinandersetzung mit dem KuMi (Kultusministerium) triumphal gewonnen habe. Die Folge ist, daß Frau Bezelmann als einzige am Begriff 'Weihnachtsfeier' festhält, und nicht müde wird, diesen Begriff extensiv zu verwenden - vorzugsweise in Telefonaten mit der Uni-Verwaltung.
"Man müssste sssich bald um die Organisssation der Weihnachtsssfeier kümmern", 
säuselt Frau Bezelmann also heute wieder beim Kaffeetrinken. 
Alle Anwesenden schauen angestrengt aus dem Fenster oder blättern hastig in herumliegenden Werbepamphleten, um ja nicht in Blickkontakt mit Frau Bezelmann zu geraten. 
"Zzzum Beissspiel könnte Leisch diesssessss Jahr mal die Weihnachtsssfeier organisssieren ..." 
Bevor ich noch protestieren kann, bemerkt Marianne kritisch: 
"Das halte ich für keine gute Idee! Das letzte Mal, als Leisch eine Veranstaltung organisiert hat, gab es einen Katastrophenalarm im Landkreis München!" 
Alle schauen Marianne an, und sie merkt plötzlich, daß sie einen fundamentalen taktischen Fehler begangen hat: Kritisiere niemals einen anderen, wenn es sich um eine unliebsame Aufgabe handelt, vor der sich alle drücken wollen. 
"Hrrrm", räuspert sich der Kollege Rinzling, "dann wäre es doch ganz schön, wenn Marianne diesmal die Jahresendfeier ..." 
Mariannes Protestgeschrei geht in der allgemeinen Akklamation aller Anwesenden unter. Danach verlassen alle hastig den Kaffeeraum, um nicht am Ende für irgendwelche unangenehmen Teilaufgaben verpflichtet zu werden. 
Eine Woche später sind Marianne und ihr Team von zwangsrekrutierten StudentInnen dabei, den größten Hörsaal zu dekorieren. Um ihnen die langweile Arbeit etwas aufzupeppen, drehe ich heimlich bei allen Lichterketten ein, zwei Lämpchen aus dem Sockel und verstecke sämtliche Tesa-Rollen des LEERstuhls im ausrangierten Raid-Server. 
Als ich vom Kaffeetrinken zurückkomme, höre ich schon im Treppenhaus Mariannes wütende Stimme: 
"Himmelherrgottnochmal! Das kann doch nicht sein, daß es am ganzen LEERstuhl keine Tesa-Rollen mehr gibt! Wie sollen wir denn jetzt die ganzen Girlanden und Strohsterne befestigen?" 
"Wie wär's denn mit Nägeln", schlage ich freundlich vor. 
"Nägel? Wieso Nägel?" Marianne starrt mich fassungslos an. 
"Das sind kleine spitze Stifte aus Eisen", erläutere ich geduldig, "die man mit einem Werkzeug namens Hammer ..." 
"Ich weiß, was Nägel sind!" unterbricht mich Marianne giftig. "Schaff' sie 'ran, wenn du welche hast!" 
Ich eile hinunter in die Werkstatt der Hausmeister-Klingonen und hole drei 12-Pfünder und die größten Zimmermannsnägel, die sie dort auf Lager haben. 
Marianne starrt erst die Nägel, dann mich an. 
"Du bist ja wohl völlig bekloppt! Sollen wir vielleicht die Strohsterne mit zwanzig Zentimeter langen Nägeln befestigen?" 
Ich sage, daß dies leider die einzige Sorte Nägel sei, die in der Werkstatt aufzutreiben sei, und Mariannes Dekorationstruppe macht sich daran, hauchdünne Girlanden, Lichterketten (die nicht funktionieren) und Lammetta mit Zimmermannsnägeln an die jungfräulich weiß geputzten Wänden des Hörsaals I zu heften. 
Inzwischen kümmere ich mich um die akustische Untermalung der Feierstunde. Zum Glück hat man als technisches Institut ja alle Möglichkeiten. Ich installiere also die beiden 800 W Studioboxen am Hörsaalrechner und koppele auch noch den alten Linearmotor aus dem physikalischen Praktikum mit dem Hörsaalboden, damit die Bässe unter 20 Hz so richtig 'rüberkommen. Zum Testen mache ich das, was ich sonst auch immer mache, um eine Soundkarte zu testen: ich leite einfach den Kernel auf das Sound-Device. Dummerweise vergesse ich dabei, daß der Lautstärkeregler auf Maximum steht. Es gibt ein Geräusch, das schwer zu beschreiben ist, weil jeder, der es hört, entweder reflexartig seine Hände auf die Ohrmuscheln haut oder ohnmächtig wird. Der mißglückte Soundtest kostet uns einen Hochtöner und drei Studentinnen, die zu nahe am Linearmotor standen. Der Hörsaalboden bekommt einen leichten Riß, hält aber stand. 
Nachdem ich mich angemessen entschuldigt habe, mache ich mich auf die Suche nach den CDs mit Weihnachtsgedudel vom letzten Jahr, finde aber am ganzen LEERstuhl nur eine CD mit AC/DC. Close enough, denke ich und lasse 'Highway to Hell' anlaufen. 
Frau Bezelmann rührt mittlerweile die Bowle an - unter genauer Aufsicht vom Kollegen Rinzling, der behauptet, letztes Jahr wäre zu wenig Alkohol in der Bowle gewesen. Damit das dieses Jahr nicht wieder passiert, bereichere ich die fertige Bowle unbemerkt mit einen Liter medizinischen Alkohol, den ich in der anatomischen Sammlung geklaut habe. Um die etwas gruftige Geschmacksnote zu überdecken, mische ich noch rasch ein Päckchen mexikanischen Chili hinein. 
Eine Stunde später ist die Jahresendfeier in vollem Gange. Das heißt: alle zwangsverpflichteten Mitarbeiter und Studenten sitzen im Dunkeln herum (die Lichterketten gehen immer noch nicht), beißen sich an Frau Bezelmanns steinharten Plätzchen die Zähne aus und nippen mißtrauisch an der Bowle. Der Vorschlag Jennys, man solle doch gemeinsam ein Weihnachtslied bzw. ein Jahresendfeierlied singen, wird mit Hohngelächter abgeschmettert. Man kann einem Studenten zwingen, an so etwas teilzunehmen, aber einen letzten Rest von Würde darf man ihm nicht nehmen! 
Bevor noch die ersten Schnappsleichen unter die Tische rutschen, kommt als Höhepunkt (und einziger Programmpunkt) der traditionelle Auftritt des Nikolaus bzw. des Jahresend-Mannes. Der Jahresend-Mann ist traditionell in Rot gewandet und trägt den vorgeschriebenen Wattebart, durch den die Stimme leider etwas gedämpft klingt. Er hat diese Jahr sogar einen Grampus dabei, der die versammelte Jahresendfeier finster mustert. (Zur Information für Leser, die mit dem heidnischen Konzept des Grampus nicht vertraut sind: Der Grampus ist der dämonenhafte, wüste Begleiter des Nikolaus, der im Allgemeinen für das Erschrecken der kleinen Kinder zuständig ist. Normalerweise hat er ein schwarzes Gesicht und trägt eine Rute.) 
Dieser Grampus hier hat ebenfalls einen, allerdings schwarzen Bart umgehängt und schwenkt statt einer Rute drohend einen Posaunenkasten. 
"Ho, ho ... ähm ... ho, ho, ho" sagt der Nikolaus feierlich und räuspert sich ausgiebig. "Ähm ... äh ... von ... hm ... von draußen ... nein ... ähm ... von drauß' vom Walde ... äh ... Walde komm' ich her ... ähm ... ich muß euch sagen .... hrrrm ... sagen ... hmm ... sagen, es weihnachtet ..." (Zwischenruf: "Jahresendfeiert!") "... äh ... sagen, es jahresendfeiert sehr ... hm ... wo ... äh ... wo habe ich jetzt mein ... ähm ... mein Manuskript ...?" 
Die Rede des Nikolaus dauert in diesem Stil fast eineinhalb Stunden, hauptsächlich deshalb, weil der Chef sein Manuskript verlegt hat und beharrlich versucht, sich an alle genialen Formulierungen zu erinnern. Marianne gibt ihr Bestes als Grampus, um die allgemeine Aufmerksamkeit aufrechtzuerhalten, und zieht einigen Mitarbeitern, die drohen wegzuduseln, den Posaunenkasten über den Schädel. Trotzdem fallen einige der Anwesenden wegen akuter Langeweile ins Koma. 
Kaum ist der Auftritt des Nikolaus vorbei, geht eine der aus Lametta und Teelichtern improvisierten Lichterketten in Flammen auf. Die Feiernden verlassen fluchtartig den Hörsaal - vermutlich heilfroh, so leicht davongekommen zu sein -, und ich alarmiere pflichtschuldigst die städtische Feuerwehr. Der Diensthabende am Telefon gesteht mir säürlich, daß sie eigentlich schon seit zwei Stunden auf den Alarm gewartet haben, und daß ich ihnen doch bitte auch nächstes Jahr den Termin unserer Jahresendfeier im voraus mitteilen solle. 
Viel später, als der Chef und Marianne sich ihrer Verkleidungen entledigen wollen, stellt sich heraus, daß irgendein Spaßvogel den Bartkleber mit Superkleber vertauscht hat. 
Alles in allem eine sehr erfolgreiche Jahresendfeier. Ich zumindest habe viel gelacht.
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